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RASTLOS UM DIE WELT

■ Reisen, um unterwegs zu sein. Ida Pfeiffer - Prototyp der modernen Touristen

Reisen, um unterwegs zu sein.

Ida Pfeiffer — Prototyp

der modernen Touristen

VONBETTINAWENKE

Als Ida Pfeiffer 1856, zu Beginn ihrer letzten Weltreise, in München Station macht, wird sie, wie sie stolz erzählt, sogar dem bayerischen König vorgestellt. Alle Welt möchte sie, „die große Reisende“, aus nächster Nähe sehen und persönlich kennenlernen. Heute kennt sie fast niemand mehr, aber zu ihren Lebzeiten war die Wienerin Ida Pfeiffer eine überaus prominente Reiseschriftstellerin.

Ihre erste große Fahrt unternimmt die Tochter eines wohlhabenden Textilfabrikanten 1842.

Sie ist fünfundvierzig Jahre alt und hat eine enttäuschende Ehe mit einem sehr viel älteren Rechtsanwalt hinter sich. Ihr Mann hatte im Beruf immer wieder Pech, verlor Klienten und auch Geld, so daß die Familie äußerst sparsam leben mußte.

Nach einer Erbschaft trennt sie sich von ihrem Mann, um endlich ihre Träume zu verwirklichen und zu verreisen. Ihr erstes Ziel: Jerusalem. Sie folgt den Spuren unzähliger Christen, die seit dem frühen Mittelalter ins Heilige Land gepilgert sind. Dennoch ist ihre Reise ungewöhnlich. Sie schließt sich nämlich nicht, wie allgemein üblich, einer Wallfahrergruppe oder Reisegesellschaft an, sondern macht sich allein auf den Weg. Warum, begründet sie nicht: Vielleicht hat sie einfach niemanden gefunden, der so viel Zeit und Mut hat wie sie.

Alle raten ihr von der Unternehmung ab. Unbeirrt schifft sie sich aber trotzdem in Wien auf einem Donaudampfer ein.

Die zweiwöchige Schiffsreise bis ans Schwarze Meer ist allerdings nicht immer vergnüglich, denn Ida Pfeiffer muß ihr Geld zusammenbehalten, kann sich also auf dem Schiff nur enge Kabinen und an Land nur bescheidene Zimmer in billigen Gasthöfen leisten.

Als sie endlich Konstantinopel erreicht, fühlt sie sich aber für allen Ärger entschädigt. „Die Moscheen mit ihren feingezeichneten Minaretten, die Paläste und Harems, die Waldungen von Zypressen“, das alles empfindet sie als „unbeschreiblich überraschend.“

Sechs Wochen lang durchstreift sie, meist in Begleitung türkischer Führer, die Stadt, dann will sie weiter, obwohl sie wieder vor allen möglichen gefahren, Krankheiten, Überfällen und politischen Unruhen gewarnt wird.

Man rät ihr, wenn überhaupt, dann nur in Männerkleidern weiterzureisen. „Allein, ich fand den Rat nicht klug, ich zog es vor, meine einfache europäische Tracht, die aus meiner Bluse und meinen Beinkleidern bestand, beizubehalten.

In der Folge war ich immer mehr überzeugt, wie gut ich getan, denn man begegnete mir überall mit Achtung und hatte Güte und Nachsicht für mich, gerade weil man auf mein Geschlecht Rücksicht nahm.“

Ida Pfeiffer reist allein und doch nicht allein. Natürlich ist sie froh, wenn sie Gesellschaft findet. Meist ist es die von Männern; Frauen sind kaum unterwegs.

So reitet sie an der Seite eines Engländers von Jaffa aus über das judäische Gebirge nach Jerusalem. Dort wiederum lernt sie zwei Grafen aus Böhmen kennen, mit denen sie Ausflüge nach Bethlehem und Nazareth unternimmt.

Vor keiner Strapaze schreckt sie zurück. Bei vierzig Grad im Schatten reitet sie bis zu zehn Stunden durch die Wüste und über Berge.

Bei einem Ritt ans Tote Meer ist sie die einzige Frau neben vierundzwanzig Männern; Wie selbstverständlich schläft sie unter freiem Himmel. Sie bekämpft Müdigkeit und Schwäche, auch wenn sie fast vom Pferd fällt. Auf keinen Fall will sie sich die Sympathien der Männer verscherzen, da sie ja auf deren Reisebegleitung angewiesen ist.

Wenn sie keine Reisegefährten findet, dann organisiert sie sich einheimische Führer. So zieht sie später in Begleitung zweier Ägypter von Kairo zur Cheopspyramide bei Gizeh. Es genügt ihr aber nicht, den „kolossalen Bau“ nur von unten zu bewundern, sondern sie klettert mit Hilfe der beiden Männer Stufe für Stufe bis zur Pyramidenspitze. Manche Steinblöcke sind so hoch, daß beide sie an die Hand nehmen und hochziehen müssen. Nach dem ebenso schwierigen wie riskanten Abstieg wirft sie noch schnell einen Blick in das Innere der Pyramide, allerdings besichtigt sie nur zwei Grabkammern, zu mehr fehlt ihr die Geduld. „Für Gelehrte mag es von großem Interesse sein, jeden Winkel und jede Ecke zu durchsuchen, aber für mich als Frau, die bloß eine grenzenlose Neigung zum Reisen hierher brachte und die Kunst und Naturschönheiten nur nach ihren Gefühlen zu betrachten vermag, genügte es, die Cheopspyramide von außen bestiegen und von innen überhaupt gesehen zu haben.“

Nach sieben Monaten in der Türkei, im Libanon, in Palästina und Ägypten ist sie wieder in Wien. Dort drängt man sie, ihre Reiseaufzeichnungen zu veröffentlichen.

Ihr Buch „Die Reise einer Wienerin durchs Heilige Land“ findet dann auch so viele Leser, daß sie mit den Einnahmen ihre zweite Reise nach Skandinavien und nach Island finanzieren kann. Von nun an bleibt sie diesem Prinzip treu: eine Reise ergibt ein Buch, das Buch die nächste Reise.

***

1846 segelt sie von Hamburg nach Brasilien. Ihr Reisegefährte: Ein Graf, den sie bereits von ihrer Orientreise her kennt. Erste Station ist Rio. Wieder unternimmt sie unermüdlich mehrere Ausflüge ins Landesinnere. Als sie und ihr Begleiter auf einer Wanderung von einem Schwarzen überfallen werden, verteidigt sie sich mutig mit Sonnenschirm und Taschenmesser. Sie besucht portugiesische und deutsche Plantagenbesitzer und kämpft sich in Begleitung von zwei Einheimischen durch den Regenwald bis zu einem Indianerdorf, wo sie dann aber nur vierundzwanzig Stunden bleibt.

Zwar gesteht es Ida Pfeiffer nicht ein, aber man gewinnt den Eindruck, sie fühlt sich in Südamerika nicht besonders wohl, denn sie verläßt den Kontinent früher als eigentlich beabsichtigt in Richtung Asien. Ihre nächsten Stationen: Tahiti, Singapur, Indien, das heutige Pakistan, Ceylon, der Iran und Irak.

Im Herbst 1848, zweieinhalb Jahre nach ihrer Abreise, ist sie wieder in Wien. Sie schreibt ihre „Frauenfahrt um die Welt“, dann packt sie 1851 wieder ihre Koffer für ihre zweite Weltreise; diese dauert vier Jahre. 1856, ein Jahr nach ihrer Rückkehr ist sie schon wieder unterwegs, diesmal nach Madagaskar. Auf ihrer Reise von Wien nach Holland hält sich Ida Pfeiffer auch einige Tage in Berlin auf. Dort wird sie von dem berühmten Naturwissenschaftler Alexander von Humboldt freundlich empfangen, und sie wird zu einer Sitzung der Berliner Geographischen Gesellschaft eingeladen, wo sie kurz vorher zum Ehrenmitglied ernannt worden war — damals für eine Frau eine ungewöhnliche Anerkennung.

Immer wieder wird sie vor der Reise nach Madagaskar und den politischen Unruhen auf der Insel gewarnt, aber sie ist hartnäckig wie immer.

Zunächst scheint ihr das Glück auch treu zu sein. In Kapstadt lernt sie einen Franzosen, einen auf Mauritius lebenden Zuckerrohrplantagenbesizter kennen, der ihr anbietet, sie bald nach Madagaskar mitzunehmen.

Dort wird Ida Pfeiffer Mitwisserin eines Putschversuchs, denn ihr Begleiter will gemeinsam mit dem Königssohn die despotisch regierende Königin Ranavola, eine Madegassin, vom Thron stürzen. Der Plan wird vorzeitig entdeckt, die Verschwörer ausgewiesen.

Die Vertreibung ist als subtile Art der Todesstrafe gedacht, denn auf dem Weg zur Hafenstadt Tamatave werden die Wienerin und der Franzose von der königlichen Eskorte zu endlosen Umwegen gezwungen, obwohl oder gerade weil beide an einem tropischen Fieber schwer erkrankt sind. Der Marsch dauert dreiundfünfzig Tage. Von den Strapazen erholt sich Ida Pfeiffer nicht mehr, kurz nach ihrer Heimkehr stirbt sie im Alter von sechzig Jahren.

Eine mutige Frau, ein Leben außerhalb der Norm. Weshalb ist Ida Pfeiffer heute trotzdem fast vergessen? Ganz einfach: Ihre Bücher sind meist spröde und über weite Passagen nur als Zeitdokument interessant. Man und noch mehr „frau“ bewundert ihre Unerschrockenheit, aber so richtig sympathisch wird sie einem nicht. Was fühlt, was denkt sie, wenn sie allein auf einem Schiffsdeck steht, allein in ein Gasthaus kommt, allein mit einem ägyptischen Fremdenführer den Preis für eine Stadtbesichtigung aushandelt?

Ida Pfeiffer läßt selten in sich hineinsehen, Einsamkeit und Erschöpfung sind nur dazu da, überwunden zu werden.

***

Reisen bedeutet für die Wienerin Arbeit, das englische Wort to travel ist ja auch mit französischen la travail — Arbeit verwandt.

Wofür arbeitet sie aber? Ida Pfeiffer erklärt ganz schlicht: „So wie es den Maler drängt, ein Bild zu malen, so drängt es mich, die Welt zu sehen. Ein so reines seliges Vergnügen, wie mir die Schönheit der Natur bietet, finde ich sonst in keiner Gesellschaft, in keinem Spiel, in keinem Theater.“

Auf ihren Reisen findet Ida Pfeiffer aber nicht nur Abwechslung, sondern auch die ihr lange versagte Selbstbestätigung. Hier darf sie zeigen, was sie kann. Was sonst bringen ihr die weiten Reisen? Die Engländerin Lady Montagu, die 1716 an der Seite ihres Mannes, eines Gesandten, in die Türkei reiste, unterhielt sich mit den Frauen im Harem und diskutierte mit türkischen Gesandten über die Unterschiede zwischen Christentum und Islam. Sie war immer bereit, sich als eine vom Christentum geprägte Protestantin in Frage zu stellen. Als Goethe nach zwei Jahren in Italien in die Weimarer Provinz heimkehrte, gestand er, ein anderer, freierer Mensch geworden zu sein.

Ida Pfeiffer aber bleibt immer sie selbst, eine Fremde in der Fremde. Sie findet den Tanz der Derwische in Konstantinopel „schauererregend“, die Einwohner in Tahiti „sitten- und schamlos“, die vielen Schwarzen in Rio „abschreckend“. Selten macht sie sich die Mühe, das ihr Unverständliche zu begreifen. Sicherlich liegt das auch daran, daß sie sich — verständlicherweise — gern unter ihresgleichen aufhält. Sie reist zwar um die Welt, trifft aber überall auf Deutsche, Franzosen, Engländer. Beim Lesen ihrer Bühcer wird einem bewußt, daß sich die Europäer überall in der Welt als Kolonialherren und Geschäftsleute eingenistet, die Einheimischen in die kümmerliche Existenz der Dienenden und Rohstofflieferanten gezwungen haben. Ida Pfeiffer geht zwar gelegentlich auf die Auswirkungen dieser ausbeuterischen Politik ein, letzten Endes betrachtet sie die ganze Welt aber mit den Augen einer fleißigen, spartanisch erzogenen Wienerin.

Das Reisen selbst ist ihre Passion, aber für die besuchten Länder und Völker, für ihre Geschichte, Kultur, Architektur und Musik scheint sie kein leidenschaftliches Interesse zu entwickeln.

Anders als ihre berühmten Zeitgenossen Goethe und Alexander von Humboldt, anders als die geistreiche und wißbegierige Lady Montagu kann oder will Ida Pfeiffer ihre Reisen nicht gründlich vor- und nachbereiten. Sie selbst erkennt ihre Grenzen: Als Frau stehe ihr kein Urteil zu, als Frau müsse sie nicht alles wissen, nicht alles erforschen — so schreibt sie immer wieder. So sehr sie mit ihren Reisen die konventionelle Frauenrolle sprengt, so zieht sie sich doch immer wieder freiwillig in dieses enge Korsett zurück.

Ihr fehlt der Mut, beim Schreiben aus sich herauszugehen; ihr fehlt die Muße, wahrscheinlich auch das Geld, ihre Erlebnisse in aller Ruhe in Erkenntnisse umzusetzen.

Mitte des vorigen Jahrhunderts, als Ida Pfeiffer zwischen Wien, Amerika, Asien und Afrika unterwegs ist, wird das Eisenbahnnetz ausgebaut, die ersten Reisebüros werden eröffnet, Karl Baedeker publiziert die ersten seiner neuartigen handlichen Reiseführer. Das Zeitalter des Tourismus beginnt, Ida Pfeiffer erscheint als typisches Kind dieser Übergangszeit. Sie profitiert zwar noch kaum von den neuen Einrichtungen: Sie reist auf eigene Faust, verzichtet auf jeden Komfort und scheut keine Anstrengung. Dennoch ist sie eine Vorläuferin der Touristen heute, sie reist nicht als Pilgerin, nicht mit geschäftlichem oder politischem Auftrag, nicht um sich zu bilden; sie reist, um unterwegs zu sein. Rastlos fährt sie zweimal um die Welt und kommt nirgendwo an.

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