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Eher Demokratie als Sozialismus

■ Ein italienischer Philosoph, Mitglied der Kommunistischen Partei Italiens, plädiert dafür, daß sich die Linke vom Sozialismus verabschiedet DOKUMENTATION

Der Kommunismus ist zerfallen, und auch dem Sozialismus geht es gar nicht gut. Im Grunde liegt hierin der Grund für die Entscheidung Achille Occhettos, Vorsitzender der Kommunistischen Partei Italiens (KPI), seiner Partei einen neuen Namen zu geben. Nun ist es an Bettino Craxi, Chef der Sozialistischen Partei Italiens (PSI) — und natürlich auch an den anderen Parteien jener Sozialistischen Internationale, der Craxi sich zurechnet —, eine neue Bezeichnung zu finden.

Nicht ohne Grund hat Craxi in seiner Polemik mit Occhetto über die Namensgebung unterstrichen, daß Marx sich zweifelsohne schlicht als Sozialist bezeichnet und in der Partei der Sozialistischen Einheit1 mitgemacht hätte. Eben: Wenn wir die kommunistische Utopie beiseite gelegt haben, sollten wir dann nicht auch die sozialistische Utopie beiseite legen, die nur deshalb weniger gefährlich und dogmatisch scheint, weil sie nebulöser ist?

Das einzig positive Element der linken Ideale ist Demokratie

Auch der Sozialismus ist weitgehend von Marx beeinflußt, und schließlich die Sowjetunion, die sich selbst UdSSR nannte, eine Föderation Sozialistischer Republiken. Damit sollten sich die Sozialistischen Parteien ein wenig befassen, und zwar nicht nur im Kreise der westlichen Bruderparteien, sondern auch und vor allem mit jenen neuen Parteien, die in den osteuropäischen Ländern entstehen und die von der Bezeichnung Sozialismus genausowenig wissen wollen wie von Kommunismus. Müssen wir nun annehmen, daß der Schachzug Craxis zu dem paradoxen Resultat führt, daß jetzt die sturen Marxisten und Stalinisten der KPI in die PSI übertreten? Unabhängig von jeder taktischen Erwägung scheint der Gedanke, den neuen Namen der KPI um die Begriffe Demokratie und Linke zu zentrieren, zukunftsweisend: Das einzige positive Element der linken Ideale ist Demokratie, und die wiederum ist keine doktrinäre Vorstellung im Hinblick auf eine absolut gesetzte Vision vom Menschen und der Gesellschaft, sondern sie ist vor allem die Entscheidung für ein bestimmtes prozedurales Verfahren, mittels dessen gemeinsam und von Fall zu Fall und ohne Gewalt die konkreten sozialen Ideale verwirklicht werden, an denen sich das Leben der Gemeinschaft orientiert. Für Demokratie und Linke wird es keinen, oder zumindest nicht so bald, Umbenennungsbedarf geben.

Die Demokratie ist immer unvollkommen, allein schon deshalb, weil es immer oder doch noch für lange Zeit diejenigen geben wird, die versuchen werden, einen Machtwechsel, die Öffnung für Neues und die Umverteilung der Reichtümer und der Lebensqualität (Dürfen wir noch sagen: des Glücks?) zu verhindern. Aus eben diesem Grund wird die Linke nicht so schnell an Aktualität verlieren: Endlich frei von jeder metaphysischen Entscheidung für ein Menschenbild (Materialismus, Kollektivismus etc.) wird sie schlicht für diejenigen Partei ergreifen, die in den bestehenden Verhältnissen benachteiligt sind. Die könnte man auch heute noch mit dem Marxschen Begriff Proletariat bezeichnen, selbst wenn deren Charakteristika selbstverständlich in den Ländern des fortgeschrittenen Kapitalismus nicht mehr dieselben sind.

Lebensqualität ist Kern jener Option für eine Linke

Die große Mehrheit von uns ist heute nicht deshalb Proletarier, weil sie vollständig enteignet oder ausgebeutet währen: In den meisten Fällen sind die Gehälter anständig und die Teilhabe an der Macht ist durch die Mechanismen der politischen Repräsentanz möglich.

Dennoch ist das Gefühl der Entfremdung, auf dem sich nach Marxens Überzeugung das Bewußtsein seiner revolutionären Klasse aufbauen sollte, keineswegs verschwunden. Es konzentriert sich im Bewußtsein und im Lebensgefühl, daß wir wegen des Zerfalls der gesellschaftlichen Institutionen, vom katastrophalen Zustand der öffentlichen Dienstleistungen bis hin zum Zusammenbruch des Gesundheitssystems, von der überhandnehmenden Mafia bis zur Verschmutzung und Zerstörung der natürlichen Ressourcen einfach nicht mehr leben können. Viele von uns haben zwar das Geld, um im Restaurant Essen gehen zu können oder um in die Ferien zu fahren, finden sich dann aber in schmuddeligen Kneipen, in Städten im Niedergang oder an verunreinigten Stränden wieder. Dieses Proletariat, nicht der Eigentumslosen, sondern derer ohne Lebensqualität, bildet den Kern jener Option für eine Demokratie der Linken. Denn genau dieser Bezugspunkt unterscheidet sie von einer Demokratie der „Rechten“, die eher darauf achtet, die bestehende demokratische Ordnung und die bestehenden Verteilungsverhältnisse der Macht aufrecht zu erhalten.

Es ist nicht notwendig, daß die Linke sich sozialistisch nennt

Es ist absolut nicht notwendig, daß sich diese Linke sozialistisch nennt. Dieser Begriff hat ebenso wie Kommunismus Würde und Bedeutung nur als ein kondensierter Begriff und als historische Spur für die zahllosen Kämpfe, die Einsatzbereitschaft und die Hoffnungen auf Emanzipation, die sich in der Vergangenheit damit verbanden. An diesen (legitimen) Zusammenhang mit dem historischen Erbe scheint durchaus treffend das Zitat des alten Symbols der KPI zu erinnern, das die neue Partei nicht hat aufgeben wollen.

Die Linke, die heute entsteht, könnte durch ihre schlichte Bezugnahme auf die Demokratie und ohne die metaphysisch-ideologischen Horizonte programmatisch reichlich arm erscheinen. Diese Armut kann jedoch zum Vorteil gereichen, wenn es der neuen Organisation gelingt — wobei sie ruhig von Craxis Pragmatismus lernen sollte —, die Probleme und Emanzipationswünsche der sozialen Gruppen aufzugreifen, die sich auch heute noch von den vollen Bürgerrechten ausgeschlossen fühlen und die in unserer Gesellschaft noch immer einen beachtlichen Teil darstellen. Gianni Vattimo3

Der Autor ist Mitglied der KPI, lehrt Philosophie und Ästhetik an der Uni Turin. In seiner Philosophie setzt er sich besonders mit Nietzsche und Heidegger auseinander und ist schon seit langem einer der führenden Vertreter des sogenannten pensiero debole (i. e. eine Philosphie, die auf einen wie auch immer begründeten Wahrheitsanspruch verzichtet) in Italien. Einige seiner Bücher sind auch ins Deutsche übersetzt. Politisch vertritt er die radikale Öffnung der KPI zu einer Partei des zivilen demokratischen Engagements. Er war vor den Kommunalwahlen im Frühjahr dieses Jahres als Spitzenkandidat einer von der KPI mitgetragenen Bürgerliste im Gespräch.

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