: Schuldfrage nach einem Herzinfarkt
■ Zwei junge Einbrecher stehen vor Gericht, weil ein von ihnen traktierter Mann an Herzinfarkt starb
Der 44jährige Zweizentnermann Holger S. starb am 27. August 1989 an einem Herzinfarkt. Ein natürlicher Tod? Oder letztes Glied einer Kausalkette, die als „Körperverletzung mit Todesfolge“ vor Gericht gehört und von zwei jungen Einbrechern verursacht wurde? Gestern saßen die beiden jungen Männer auf der Anklagebank im Bremer Landgericht. Und die trauernde Lebensgefährtin des Toten weinte im ZeugInnenstand: Die erste Jugendkammer unter Vorsitz von Richter Axel Fangk mühte sich, die unglückseligen Ereignisse zu rekonstruieren.
Die beiden damals 17- bzw. 20jährigen Kumpel Stefan A. und Wieslaw G. waren an jenem Augustabend in Gröpelingen unterwegs gewesen, um Heroin einzukaufen. Auf ihrem Heimweg sahen sie ein Haus, in dem kein Licht brannte und alle Fenster geschlossen waren. Die beiden Drogenabhängigen beschlossen, einen Einbruch zu wagen und besorgten sich Schraubenzieher. Derweil saß der 44jährige Holger S. im Nachbarhaus vorm Fernseher. Durchs Wohnzimmerfenster beobachtete er, wie die beiden jungen Männer um das Gebäude schlichen und schließlich über den Zaun kletterten. Holger S. handelte: Er rannte mit seinem Sohn hinunter und überraschte die beiden Einbrecher von hinten. Was Holger S. zu diesem Zeitpunkt nicht wußte und was erst der Gerichtsmediziner nach seinem Tod feststellen sollte: Holger S., der stämmige Zweizentnermann, der sich zwei fitten jungen Männern entgegenstellte, litt an einer lebensbedrohlichen Herzkrankheit.
Die beiden jungen Männer, auf die Holger S. traf, waren nicht gewillt, brav auf die Polizei zu warten. Sie gaben die Parole aus: „Durchstarten und abhauen“. Stefan A. gestern: „Ich war auf Bewährung draußen und kriegte Panik.“ Holger S. habe ihn jedoch beim Weglaufen an der Jacke erwischt. Daraufhin habe er versucht, sich zu befreien. Wer wen wie während dieser Keilerei verletzte, blieb gestern vor Gericht unklar. Unklar blieb auch, wie Holger S., der streitbare Nachbar, sich massive Rippenbrüche zugezogen hatte. Denn die beiden Einbrecher erklärten, sie hätten nicht gezielt und auch nicht mit ihrem Schirm zugeschlagen. Fest stand: Es gelang ihnen abzuhauen.
Holger S. blieb wütend und erschöpft zurück. Er klagte über Atemnot. Holger S. kam ins Krankenhaus. Dort wurde eine Verletzung an der Nase versorgt, dort wurden Röntgenaufnahmen gemacht, dort gab es offenbar jedoch auch Versäumnisse, die Holger S.' frühen Tod mitverursacht haben können. Denn seine Lebensgefährtin, die ihn beim Gang ins Krankenhaus begleitet hatte, berichtete gestern zur allgemeinen Überraschung: „Er ist nicht untersucht worden. Man hat keinen Blutdruck gemessen. Er wurde nach Hause geschickt. Er sollte zum Hausarzt gehen.“ Zurück zu Hause starb Holger S. noch am gleichen Abend. Diagnose: Herzinfarkt.
Die Jugendkammer hat einen weiteren Verhandlungstag angesetzt.
Barbara Debus
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