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Bitte hängen Sie nicht ein

■ Die Freie Volksbühne knipst »Liliom« von Ferenc Molnor an und aus

Sternenhimmel im Faust, Sternenhimmel in den Räubern, Sternenhimmel jetzt auch in der Freien Volksbühne. Ein einziger Sternenhimmel über Berlin, seit die neuen Intendanten ans Werk gegangen sind. Dabei tun Sternenhimmel dem Theater nicht gut. Das hat Max Frisch schon im April 1949 in sein Tagebuch geschrieben: »Wenn ein Spielleiter [...] einen Himmel von Glühbirnen aufleuchten läßt, die Sterne also zur sinnlichen Wahrnehmung bringen will, ist die Magie des Theaters natürlich verscherzt.«

Welche Möglichkeiten es sonst noch gibt, die Magie des Theaters zu verscherzen, lehrt der Rest der Inszenierung. Sie ist der zweite Streich des Neuenfelsschen Meisterschülers Werner Heinrichmöller. Nach Bernarda Albas Haus im vorletzten jahr jetzt Ferenc Molnars Liliom, »eine Vorstadtlegende in sieben Bildern« und hier die siebenfache Hommage des Bühnenbildners Reinhard von der Thannen an sich selbst. Dieser ist ein Haute Couturier der Bühnenbildkunst. Jedes seiner Bilder ist eine Création und seine Phantasie ein gewaltiges Füllhorn, aus dem die Symbole quellen. Er gießt hundert Äpfel auf die Bühne, der Schauspieler muß sie fressen. Das ist der Sündenfall. Er hängt eine große Barke in den Himmel, der Schauspieler muß sie schwingen, das ist die Sehnsucht nach dem Jenseits. Er stellt mannshohe Reagenzgläser mit farbigen Flüssigkeiten auf, das ist die Chemie der Gefühle. Liliom trägt eine rote Hose, das ist der rote Tupfer von Corot. Darauf und nur darauf kommt es an.

Das Stück wird kopflos verehrt, dem Text aus der Hand gefressen. Wovon es handelt, geht niemanden etwas an.

Der Schausteller will nicht Hausmeister sein, nur damit sein Weib und das ungeborene Kind was zu futtern haben. Die Frau weint, deshalb wird sie verhauen. Die Schläge schmerzen nicht, sie geschehen ja aus übergroßer Liebe. Ein alter, reicher Jude soll abgeschlachtet werden, der will nicht, also sticht der Schausteller sich selbst ab. Im Selbstmörderhimmel bleibt er renitent, deshalb darf er erst nach sechzehn Jahren auf die Erde zurück. Er nutzt den Besuch, um seine Tochter zu verhauen. Die spürt die Schläge nicht, weil sie aus übergroßer Liebe geschehen.

Warum spielt man das jetzt? Vermutlich weil das Stück zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt, die an der Themenbörse hoch gehandelt werden. Mut zur Demut tut gut, sagt Sina Aline Geißler. Wer gestorben ist, ist deshalb noch lange nicht tot, sagt Steven Spielbergs letztes Meisterwerk.

Liliom an der Volksbühne ist die Erfindung eines Theaters der Ferne. Die Bühne ist sehr weit, und die Menschen darauf sind sehr verloren und klitzeklein. Vorne marschieren sie steif, und hinten kreiseln sie wild. Dabei rufen, brüllen, schreien sie sich Worte zu.

Ja, wo laufen sie denn, fragt man sich gerade noch, dann ist die Szene vorbei. Der Sternenhimmel wird angeschaltet und mit ihm die magische Musik des László Moldvai. Sie hat die Funktion der samtenen Stimme am Telefon: »Bitte hängen Sie nicht ein, bitte haben Sie noch etwas Geduld.« DoJa

Regie: Werner Heinrichmöller. Bühne: Reinhard von der Thannen. Musik: László Moldvai. Mit Gerald Alexander Held (Liliom), Tomma Wember (Juli), Christiane Bruhn (Frau Muskat) u.a.

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