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Kultur an der Gleisschleife

■ Baubeginn bei der "Kulturwerkstatt Walle" / Ex-Straßenbahndepot für die Freizeit der ArbeitnehmerInnen

Auf der einen Seite liegt ein See- Bad, auf der anderen nimmt man Abschied von seinen Toten und einen Kaffee bei „Leichen- Rosa“, tanken kann man dort, und die Straßenbahn kann im Kreis fahren: Wir befinden uns am alten Straßenbahndepot zwischen Walle und Gröpelingen, direkt am Friedhof, und dort entsteht ein neues Bremer Kulturzentrum, Arbeitstitel: „Kulturwerkstatt Walle“.

Das Objekt war einst, bis es im Krieg das Schicksal des fast gesamten Bremer Westens erlitt, eine „Straßenbahnbetriebsstätte“ mit Werkstatt, Trafostation, interner Schusterei und Schneiderei. 1946 wurde es notdürftig wiederaufgebaut, um dann lange leerzustehen bzw. als Lagerraum zu dienen. Zuletzt brummte nur noch der Gleichstromtrafo der BSAG, und die Bus-und Bahnchauffeure/eusen verrichten dort ihre unsäglichen Geschäfte.

Auf das ehemalige Depot — Grund und Gebäude sind in öffentlichem Besitz — warf die Kulturbehörde schon länger ein Auge, z.B. als ein Bremisches „Museum der Arbeit“ diskutiert wurde. Seit 1987 ist dort ein Kulturzentrum ausdrücklich für „Arbeitnehmer“ geplant; von Anfang an beteiligt ist der gemeinnützige Verein „Planungswerkstatt“, dessen Architekten derzeit auch die Umbauarbeiten betreuen. Projekte wie das „Thäte-Areal“ in der Lindenhofstraße mit einem Recycling-Büro und der Fraueninitiative „Quirl“, das "Punkerhaus" in der Friesenstraße und das Künstlerzentrum Haus am Deich machten die „Planungswerkstatt“ bekannt.

Seit 15. Oktober reißen etwa zwanzig zumeist ältere Bauhandwerker und Arbeiter die letzten Schienen aus dem Betonsockel,

Hier

der

Bauplan

entfernen Wände und Galerien. Sie alle sind entweder ABM-ler oder „BSHG“-Kräfte, die nach dem Bundessozialhilfegesetz beschäftigt und bezahlt werden. Architekt Eduard Wandel beschreibt die erhaltene Bausubstanz als „aus der Not geboren“, Eisenschrott als Bewehrung in den Fundmenten war üblich. Einen bemerkenswerten Stil kann man nicht ausmachen, der ärmliche Zweckbau aus den 50ern wäre, bei marktwirschaftlicher Kalkulation, besser abgerissen worden. Doch ein Neubau wäre nie zu finanzieren gewesen; mithilfe der Gelder aus Nürnberg und Brüssel (Europäischer Sozialfond) bleiben für den Kultursenator noch 280.000 DM, die zuzuschießen sind. Hätte man den Umbau an Fremdfirmen vergeben, hätte er 1,75 Mio. gekostet.

Durch den Einbau einer zweiten Ebene erhält die „Kulturwerkstatt“ eine Fläche von 1050 qm. Neben Holz-, Druck- und Metallwerkstätten entstehen Tanz-, Musik- und Seminarräume und ein Bereich, der von der DGB-Jugend genutzt wird. Die Außenwände möchte Wandel warholesk knallbunt anmalen, allerdings fürchtet er den Zorn der Nachbarn.

Die AnwohnerInnen, hauptsächlich FriedhofsgärtnerInnen, sind zutiefst beunruhigt ob der Aussicht, eine Art Schlachthof könnte die Friedhofsruhe stören. Eine rechtsanwaltbewehrte Bürgerinitiative lief bei Bekanntwerden der Baupläne Sturm, verlangte eine Schallschutzwand von 4 Metern und rigorose Betriebseinschränkungen.

Zur Entspannung veranstaltete der zukünftige Träger, das „Gewerkschaftliche Kulturzentrum e.V.“, in schon nutzbaren Räumen zwei „Kulturwochen“ mit Kabarett, Musik und Theater, wo sich die AnwohnerInnen vom Programm überzeugen konnten. Und diverse Theaterveranstaltungen (“Quadraten“, „Floß der Medusa“, „Oh diese Männer“) zeigten: Der neue Bremer Kulturplatz hat sich — zumindest in der „Szene“ — rumgesprochen.

Um bis 1992, wenn der Umbau abgeschlossen sein soll, die eigenliche Klientel zu interessieren, die „abhängig Beschäftigten in industriellen und handwerklichen Berufen“, will der künftige Leiter des „Depots“, Rudolf Wenzel von der Kulturbehörde, die großen Bremer Firmen direkt ansprechen. Denn Wenzel und seinem vierköpfigen „Team“ (ABMlerInnen, was sonst?) geht es nicht um die „Szene“: Die KollegInnen aus den Betrieben sollen hier in Walle eine „Heimat“ für ihre mutmaßlichen kulturellen Bedürfnisse finden. Übrigens ist der definitive Name fürs Kind noch nicht gefunden. Möller-Depot hat dem Vernehmnen nach schlechte Chancen, und Kulturpalast der Arbeit klingt zu hölzern, oder? Burkhard Straßmann

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