: Alle fein poliert
■ „Schlachtenbummel“, ein Dokumentarfilm von Thomas Frickel über die letzten „Helden des großen Krieges“
Nichts sei grotesker als die Wirklichkeit, meint der Rüsselsheimer Journalist und Filmemacher Thomas Frickel — und deshalb läßt er in Schlachtenbummel die letzten „Helden des großen Krieges von 1914 bis 1918“ (so ein Kriegerdenkmal in Kelsterbach/Main) im O-Ton zu Wort kommen. Vier alte Männer, von denen drei bereits kurz nach den Dreharbeiten verstarben, erzählen vom „Stahlgewitter“ an der Maas, an der Somme und in Verdun, von der Kriegsbegeisterung der Massen 1914. Und sie erzählen von den stinkenden Leichenbergen auf den tausendmal umgepflügten Schlachtfeldern in Frankreich und Belgien, auf denen heute die „Schlachtenbummler“ noch immer nach den Überresten des längst vergessenen Weltkrieges graben.
Da präsentiert ein Franzose in Verdun stolz eine Sammlung von Granaten aus deutscher, französischer und englischer Produktion: Alle fein poliert und in Reih und Glied in den Wohnzimmerschrank sortiert. Und ein Deutscher verbringt seine freien Tage ausschließlich dort, wo vor 75 Jahren tausende von Soldaten von diesen Granaten zerfetzt wurden oder im Gasnebel krepierten — beim monatelangen Kampf um eine angeblich strategisch wichtigte Anhöhe.
Es sind die harten Schnitte, die Frickels Film dem Genre des Dokumentarfilms entfremden. Während ein steinalter Belgier, der das Kamerateam zu einem Schlachtfeld in Flandern führte, von dem „unerträglichen Verwesungsgeruch“ erzählt, der tagelang durch die Dörfer gezogen sei, blendet Fickel eine Zeitungsanzeige aus dem Jahre 1914 ein: Da bot Odol sein Mundwasser in kleinen Feldflaschen an — für die „Helden an der Front“. Und Henrike von Sydow und Dieter Thomas vom Frankfurter „Fronttheater“ verlesen Feldpostkarten, auf denen glückliche Soldaten glückliche Mädels küssen und dem Kaiser pausbäckige Engelchen um die Pickelhaube fliegen: „Jeder Schuß ein Russ', jeder Stoß ein Franzos'!“
Der Film von Thomas Frickel hat deshalb — über seinen dokumentarischen Sequenzen hinaus — duchaus auch Unterhaltungswert. Wenn etwa heute junge Frauen im Dienste der Kriegsgräber-Fürsorge auf den Soldatenfriedhöfen in Frankreich und Belgien die Kreuze blankputzen, ohne auch nur das geringste darüber zu wissen, was sich dort in den Jahren 1914-18 abgespielt hat, dann sagt das mehr über die Methapher von der „Gnade der späten Geburt“ als tausend Kanzlerworte: „Ich putz' hier die Kreuze, so wie zu Hause die Kacheln im Bad.“ Frickels Kommentare dazu sind meistens überflüssig. Klaus-Peter Klingelschmitt
Schlachtenbummel läuft zur Zeit in mehreren süddeutschen Programmkinos und wird vom Basis- Filmdienst in Berlin verliehen.
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