Sie kann nicht aussteigen

■ James Ivorys neuer Film „Mr. and Mrs. Bridge“

Er gehört zu der Sorte von Männern, die ihre Brille fein säuberlich zusammenklappen, bevor sie ihre Gattin küssen. Und sie wundert sich auf ihrer Europa-Reise über nichts so sehr wie über die Tatsache, daß die Spiegel in den Hotelzimmern sich immer genau vor dem Bett befinden. Mr. und Mrs. Bridge: ein Ehepaar aus der amerikanischen Provinz. Anwalt und Hausfrau, drei Kinder, wohlhabend, bürgerlich, konservativ. Schwarzes Dienstmädchen, gepflegter Rasen, Prüderie.

Die Geschichte spielt in den 30er Jahren, der Zeit von James Ivorys Kindheit. Ihr liegt ein Roman zugrunde, aber in erster Linie hat Ivory versucht, Erinnerungen zu rekonstruieren. „Wie die Menschen redeten, was sie dachten und doch nicht sagten, was sie trugen, wie sie ihr Haar frisierten, und was sie normalerweise aßen“: In Mr. and Mrs. Bridge hat es Ivory detailgetreu nachgestellt, so original wie möglich. Insoweit ist Mr. and Mrs. Bridge ein Ausstattungsfilm wie schon Zimmer mit Aussicht, perfekt und unverbindlich. Aber diesmal hat Ivorys Stil eine Funktion: Er entspricht dem Charakter seines Protagonisten, Walter Bridge.

Das Leben verläuft in geordneten Bahnen. Was sich nicht dem Regelwerk unterwerfen läßt, wird ignoriert. Zum Beispiel die erotische Ausstrahlung der ältesten Tochter Ruth. Als der Vater einmal beobachtet, wie sie sich im Badeanzug auf der Wiese räkelt, weiß er sich in seiner Erregtheit nicht zu helfen und fällt ersatzweise über seine verdutzte Frau her. Sie nimmt es hin, denn sie hat gelernt: das ist Liebe.

Daß die Kinder Affären haben, daß Ruth gar nach New York geht, die jüngere nicht standesgerecht heiratet und der Sohn lieber zum Militär als in die Anwaltspraxis seines Vaters will, all das scheint für Walter Bridge etwa so irritierend wie ein Fussel auf dem Revers: lästig und so schnell wie möglich zu entfernen. Als seine Frau India irgendwann bemerkt, daß sie sich jahrelang selbstlos für die Familie aufgeopfert und keiner es ihr gedankt hat und weinend die Scheidung fordert, sagt er nur: „Was ist denn heute in dich gefahren?“ Und schiebt ihr ein Glas Bier über den Tisch. Dabei mag sie kein Bier. Aber sie trinkt es.

Seinen ersten kleinen Schlaganfall quittiert er mit einem Besuch bei der Bank. Dort öffnet er, in Anwesenheit seiner Gattin, den Tresor, erklärt ihr die Aktienpapiere und die Lebensversicherungspolice, bloß für den Fall, daß er einmal nicht mehr da ist. Aber India will etwas anderes wissen: „Walter, liebst du mich?“ Er kann die Frage nicht beantworten: „Ich bin nun einmal Anwalt und nicht Dichter geworden.“ India senkt den Blick wieder, preßt die Lippen aufeinander und rückt ihr Gesicht zurecht, so wie andere ihre Frisur ordnen. Keine Wut, keine Tränen, ein freundliches Lächeln: wie es sich gehört. Mrs. Bridge macht keine Szene — die Szene spielt sich in ihren Mundwinkeln ab. Sie hat gelernt, sich im Griff zu haben, aber ein paar Muskeln verlieren hin und wieder doch die Beherrschung. Das macht sie in all ihrer Biederkeit zu einer tragischen, einer aufregenden Figur.

Mr. Bridge ist Paul Newman, Mrs. Bridge Joanne Woodward. Die beiden sind seit 30 Jahren verheiratet, Paul Newman war immer der berühmtere. Nach diesem Film fragt man sich, warum. Newman hält nur sein Gesicht hin und denkt, das genügt. Dabei müßte er die Verschlossenheit, die Lederhaut um sein Innenleben, das gewissermaßen Imprägnierte seines Wesens auch spielen. Er ist bloß Korrektheit, Raison, nicht einer, der sich zur Raison ruft. Paul Newman wahrt Haltung, bei ihm ist dies ein Zustand, keine Tätigkeit.

Bei Joanne Woodward ist alles zu sehen. Wie sie den Mund aufmacht, weil sie etwas sagen will und ihn wieder schließt. Nicht weil sie sich nicht traut, es auszusprechen, sondern weil sie nicht weiß, was „es“ ist. Wie sie sich auf die Stuhlkante setzt, als habe sie Angst, die Sitzfläche zu beschmutzen. Wie sie beim Lachen eine Spur übertreibt. Wie sie sich mit ihrer Dauerwelle immer ein bißchen häßlicher macht, als sie ist. Wie sie, statt zu weinen, nur mit dem Kinn zittert und ihre Nasenflügel zucken. In ihrer Verhuschtheit, den kleinen Gesten, in ihrem Nesteln und Zupfen verbirgt sich die Tragik der Gestalt: daß es sich in Wahrheit um eine Zurichtung handelt, die täglich neu stattfindet. Wir sehen eine adrette, freundliche, höfliche Ehefrau, etwas anderes will sie auch gar nicht sein, aber wir ahnen auch die ungeheure Kraft, die es kostet, täglich neu eine adrette, freundliche, höfliche Ehefrau zu sein.

Einmal bleibt Mrs. Bridge mit ihrem Wagen im Garagentor stecken. Der Motor springt nicht mehr an, die Türen sind in der Ausfahrt eingekeilt, sie kann nicht aussteigen. Es schneit, es wird dunkel. „Juhu“, ruft sie, „ist irgend jemand da?“ Und wischt mit ihren Fingern kleine Kreise am Fenster frei, stundenlang, immer wieder. Sie zieht ihren Hut nicht aus, sie legt ihr Lächeln nicht ab, nur ihre Stimme wird mit der Zeit ein wenig leiser. Sie trägt es mit Fassung. Man möchte sie retten. Christiane Peitz

James Ivory: Mr. and Mrs. Bridge, nach den Romanen „Mr. Bridge“ und „Mrs. Bridge“ von Evan Connell, Drehbuch: Ruth Jhabvala, mit Paul Newman und Joanne Woodward, USA 1990, 125 Min.