: Früherer Stasi-IM im Bundestag: „Ich fühle mich weder als Opfer noch als Täter“
■ Klaus Steinitz, Bundestagsabgeordneter der PDS, steht in der Stasi-Kartei als „Informeller Mitarbeiter“. Die taz fragte ihn, warum INTERVIEW
Was sind das für Leute, die in der Stasi-Kartei als „IM“, d.h. informelle Mitarbeiter stehen und denen der Volkskammer-Ausschuß dennoch nicht empfohlen hat, auf ihr Mandat zu verzichten? Vier dieser Sorte, im Überprüfungsjargon als „Gruppe 6“ klassifiziert, sitzen im Bundestag. Der PDS-Abgeordnete Klaus Steinitz, einer von ihnen, war bereit, sich über seine ,Kontakte‘ befragen zu lassen. Nach der Verhaftung des Schatzmeisters Pohl ist er vom Präsidium mit der Revision der PDS-Finanzen betraut worden.
taz: Haben Sie Ihre Stasi-Akte gesehen?
Klaus Steinitz: Nein.
Hat Ihnen die Person Ihres Vertrauens erzählt, was da drin steht?
Ja, so vom Hauptinhalt. Ich habe darüber schon vor der Volkskammer gesprochen. Bei mir ist die Diskussion „Opfer oder Täter“ verfehlt. Ich fühle mich weder als Opfer noch als Täter. Ich muß etwas weiter ausholen. Ich bin in schwedischer Emigration aufgewachsen, meine Eltern waren Widerstandskämpfer und mußten Nazi-Deutschland verlassen, waren erst in der Sowjetunon, dann in Schweden. Ich bin in diesem Sinne erzogen, beide Eltern waren in der Kommunistischen Partei. Mit 15 Jahren — damals zogen wir nach West-Berlin — bin ich in die SED eingetreten. Und damit hängen natürlich auch bestimmte Einstellungen zusammen. Mitte der 60er Jahre sollte ich eine Dienstreise nach Schweden machen, da ich schwedisch konnte, und da wurde ich gefragt, ob ich bereit wäre — also von einem Vertreter der Staatssicherheit — einen Teil meiner Reise zu bestimmten Fragen zu machen. Ich sollte Fragen erkunden, die für die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der DDR und Schweden wichtig sind. Aus meiner damaligen Sicht hielt ich es für meine Verpflichtung, das zu tun. Es wurde allerdings von vornherein eindeutig gesagt, daß ich nur bereit bin, zu sachlichen Fragen der wirtschaftlichen Beziehungen etwas zu sagen und nichts zu Menschen oder Personen, mit denen ich zusammen lebe oder arbeite. Das war auch deswegen wichtig, weil mein Vater damals einige Schwierigkeiten hatte. Er war Vizepräsident der Akademie der Wissenschaften und auch eine Wahlperiode lang Mitglied des Zentralkomites der SED. Er war sehr kritisch mit der Parteiführung und ich fürchtete, daß man das auch ausnutzt, um mich zu befragen.
Der Stasi ging es nicht nur um Ihre Dienstreise?
Das war meine Vermutung, daß sie die Reise zum Anlaß nehmen, deswegen habe ich von vornherein gesagt: Nee.
Mußte man für eine Dienstreise eine Verpflichtungserklärung unterschreiben?
Nein, normalerweise nicht. Es war ja üblich, wenn man eine Dienstreise macht, daß da ein Bericht abgegeben wurde, der dann auch zu ihnen kam. Es gab zwei Teile, einen allgemeinen Teil, und einen, wo es um bestimmte Fragen ging, die von ihnen ausgewertet wurden, also zum Beispiel in welchem Hotel man gewohnt hat, und ob da irgendwelche Formalitäten und Kontakte zu irgendwelchen anderen waren. Das hat ja dazu geführt, daß es einen ziemlich angeödet hat, über solche Dinge zu sprechen ... Es ist übrigens dann nie zu dieser Reise gekommen.
Warum haben Sie nicht gesagt: Mache ich nicht?
Naja, das liegt 25 Jahre zurück. Meines Erachtens habe ich gesagt, ich mache sowas ungern, weil ich dafür auch nicht geeignet bin, mit fremden Leuten ins Gespräch zu kommen. Naja, er hat dann an meine politische Verantwortung appelliert: Was man von mir erwarten müßte als Genosse. Ich habe dann gesagt, wenn Sie unbedingt der Meinung sind, dann fühle ich mich verpflichtet, das zu machen. Und dann bekam ich eine andere Funktion, hier in der Forschungsabteilung der staatlichen Plankommission, und die Sache war dann abgeschlossen.
Mein Vater ist jüdischer Herkunft, wegen der Emigration gibt es überall auch im westlichen Ausland Verwandte der Familie. Ich selbst war aber verpflichtet, keine Auslandskontakte zu haben — das war natürlich ein dunkler Punkt. Meine Schwester ist aus der Partei ausgetreten, ein anderer dunkler Punkt. Ich nehme an, daß man eben auch deshalb nicht den Versuch gemacht hat, über andere zu sprechen.
Weil Sie für die Stasi ein unsicherer Kantonist waren?
Naja, das ist vielleicht etwas zu scharf formuliert ... Aber weil ich nicht zu den ganz sicheren gehörte.
Seitdem haben Sie keinen Kontakt mehr gehabt?
Naja, Kontakt kann man wahrscheinlich nicht sagen. Ich hatte Kontakt in dem Sinne, wie viele in Leitungsfunktionen hatten. Da gab es Beauftragte, das war eigentlich normal, daß Leiter — ich war Leiter der Hauptabteilung für Wissenschaft und Bildung — angesprochen wurden, und wir haben da zum Beispiel Probleme der langfristigen Konzeption der Wirtschaft der DDR ausgearbeitet. Die Frage, die sie da hatten, war: Wir brauchen bestimmte Informationen über wirtschaftliche Zusammenhänge, ob ich bereit wäre, ihnen dazu was zu sagen. Das ist auch normal, wenn ich eine Leitungsfunktion habe, und akzeptiere, daß so ein Organ notwendig ist, daß ich über ökonomische Probleme und Zusammenhänge spreche.
Sind Sie nicht neugierig, selbst Ihre Stasi- Akte zu sehen?
Ja, aber nicht so. Ich habe gesagt, wenn ihr irgendwelche Vorwürfe gegen mich erhebt, dann möchte ich das erst einmal sehen. Weil ich nichts gemacht habe, woraus ich mir einen Vorwurf machen müßte.
Glauben Sie nicht, daß Sie selbst auch überwacht wurden?
Ich haben den Eindruck gehabt, daß das Telefon abgehört wurde, die letzten Jahre, aber es kann auch sein, daß man sich sowas einbildet.
Hat Sie das gestört?
Nee. Wenn sie das machen wollen, gut. Ich habe keine Staatsverschwörung angezettelt. In persönlichen Gesprächen sagt man dann eben, das besprechen wir ein anderes Mal. Wenn die unbedingt hören wollen ...
... dann sollen sie doch?
Ja. Interview: Klaus Wolschner
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