piwik no script img

»Die Glotze ist nur 'ne Hülse — also füll se!«

■ Schneckenrennen, Karate und Tennis: Eine Ausstellung im Foyer des Schöneberger Rathauses/ Kinder füllen ausrangierte Fernsehgeräte mit ihren Ideen/ Finanzielle Unterstützung bekamen die Initiatoren aus dem Drogenpräventionsfonds

Schöneberg. Was gibt es heute in der Glotze zu sehen? Die Antwort auf diese Frage ist bei der Vielzahl der existierenden Sender und Kanäle vielfältig. Das große »Internationale Schneckenrennen« wird jedoch auch von verkabelten TV-Konsumenten nicht empfangen werden können — das kann nur in der gestern im Foyer des Schöneberger Rathauses eröffneten Ausstellung Die Glotze ist nur 'ne Hülse, also füll se verfolgt werden.

Kinder im Alter von 8 bis 15 Jahren zeigen dort in ausrangierten Fernsehkästen, wie man ohne weiteres, aber mit viel Phantasie sein eigenes Programm zusammenbauen kann. »Die kleinen Künstler«, heißt es dazu in einem Prospekt, »ließen sich nicht mehr nur mit Bildern vom normal funktionierenden Fernseher abfüllen, sondern sie produzierten selbst welche und montierten diese Produkte in und um ausgeschlachtete Geräte.«

Angeregt wurden die 34 Kinder des Jugendfreizeitheims Lassenpark und ihr Leiter Wolfgang Lausch durch den Berliner Künstler Wolfgang Nieblich, von dem sie vor rund zwei Jahren ein paar zu Kunstobjekten umgebaute Fernseher sahen. Nach einem halben Jahr der Vorbereitung — Geld mußte beschafft und Material gesammelt werden — begannen Lausch und seine Schützlinge mit der Arbeit.

Die Flimmerkisten wurden ihres Innenlebens beraubt, die Bildröhre durch eine Glasscheibe ersetzt — und schon konnten die Kinder ihrer Phantasie freien Lauf lassen.

Da gibt es zum Beispiel die Karatekämpfer des zehnjährigen Koreaners Zee-Wong Sur, die von außen mittels Holzstäben bewegt werden können; seinem achtjährigen Bruder Ki-Wong Sur hingegen haben es die Indianer angetan: Beim »Stamm der ewigen Sonne« bereiten sich die Rothäute gerade auf eine Versammlung der Sippenältesten vor. Florian Hatwich (9) präsentiert ein gruseliges Geisterschloß, seine Schwester Sylvia zeigt eine aufgeräumte Puppenküche.

Der zehnjährige Ali el-Hanjoul ist ein großer Tennisfan — mittels Fototechnik schafft er es, vor großem Publikum gegen sich selbst zu spielen. Die neunjährige Nicole Lau zeigt, wie die Farbe in den Fernseher kommt — mittels eines Trichters gießt man sie von oben in den Apparat hinein. Tilman Lechel nimmt den Begriff »Fernsehen« wörtlich, lediglich ein verkehrt herum gedrehtes Fernglas lugt aus der schwarz bemalten Mattscheibe hervor. Wenn man die Augen an die Linse preßt, erkennt man ein Piratenschiff auf hoher See.

Neben vielen fröhlichen Bildern beeindruckt besonders die Arbeit der 15jährigen Andrea Hatwich, der ältesten unter den jungern Künstlern. Aus dem Buch Ich trug den Gelben Stern — die Theaterfassung Ab morgen heißt du Sarah lief unter anderem im Westberliner Grips-Theater — modellierte sie die Szene auf dem Polizeirevier, in der das Mädchen den Judenpaß mit dem aufgezwungenen Zweitnamen Sarah erhält.

Neben den Arbeiten der Kinder hängen an den Wänden Fotos, die die kleinen Künstler während ihrer Arbeit zeigen. Da wird gehämmert und gesägt, gemalt und gebohrt — der Betrachter kann den Spaß, den sie dabei hatten, nachträglich noch einmal nachempfinden. Auch die Objekte, die die ursprüngliche Anregung zu der Aktion gegeben haben, sind in die Ausstellung mit aufgenommen worden. Wolfgang Nieblichs eigenwillige Fernsehschöpfungen bilden einen eigenwilligen Kontrast zu den unbefangen-bunten Bildern und ergänzen sie auf eigentümliche Weise.

»Finanziell gestützt«, berichtete der Spiritus rector der Ausstellung, Wolfgang Lausch, »wurden wir vom Bezirksamt Schöneberg. Dabei bekamen wir einen Teil des Geldes über den sogenannten Drogenpräventionsfonds. Das finde ich übrigens gar nicht so verkehrt, schließlich kann Fernsehen ja auch zur Sucht führen.«

Die Ausstellung ist in der Zeit von 10 bis 18 Uhr noch bis zum 18. November zu sehen. Olaf Kampmann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen