Quoten und Verfassung

■ Das Münsteraner Urteil ignoriert die Benachteiligung von Frauen KOMMENTARE

Noch kein Jahr ist das nordrhein-westfälische Frauenförderungsgesetz (FFG) gültig, und schon wird es vom Oberverwaltungsgericht Münster für verfassungswidrig erklärt und nach Karlsruhe geschickt. Es war zu erwarten und nur eine Frage der Zeit, bis ein betroffener Mann vor den Kadi ziehen würde. Denn sobald Frauenförderung über unverbindliche Absichtserklärungen und pflaumenweiche Soll-Vorschriften hinausgeht, wird es ungemütlich für die Herren der Schöpfung.

Dabei ist die Quotenregelung des FFG keineswegs ein Ausbund an Radikalität. Um das Gesetz „gerichtsfest“ zu machen, wurden dort von vorneherein Kompromisse geschlossen: So dürfen Frauen nur bei gleicher Qualifikation bevorzugt werden — und alle Erfahrungen zeigen, wie gut der interpretationsfähige Begriff der Qualifikation sich dafür eignet, Männern Schlupflöcher zu schaffen. Ferner enthält das nordrhein westfälische Gesetz keine starre Quote. Damit müßte es auf jeden Fall einer verfassungsrechtlichen Überprüfung standhalten.

Die von Verfassungsrechtlern, wie dem ehemaligen Präsidenten des BVerfG, Ernst Benda, geforderte „Einzelfallgerechtigkeit“ ist im FFG ausdrücklich gewahrt. Denn Frauen sind danach nur zu bevorzugen, sofern nicht „in der Person des Mitbewerbers liegende Gründe überwiegen.“ Das können sein: Dienst- und Lebensalter, Familienstand, soziale Aspekte. Mit dieser Einschränkung, so befand Benda vor Jahren schon, hält die Quotierung vor dem Grundgesetz stand. Denn der Staat sei nicht nur befugt, sondern geradezu verplichtet, Defizite in der Gleichberechtigung von Frauen und Männern, auszugleichen.

Diese Sichtweise hat die Richter in Münster nicht im mindesten interessiert. Sie ergriffen inhaltlich unumwunden die Partei der Männer. Dem einzelnen Mann dürfe nicht zugemutet werden, die Benachteiligung von Frauen zu „kompensieren“, hieß es in ihrer Begründung. Formal verschanzten sie sich hinter dem Artikel 33 Grundgesetz: „Jeder Deutsche hat nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt“. Ganz abgesehen davon, daß Frauen hier allein schon sprachlich ausgegrenzt sind — sie sind es auch de facto. Ihr Anteil an den Spitzenpositionen im öffentlichen Dienst liegt bei beschämenden fünf bis zehn Prozent. Ihre Benachteiligung erfolgt systematisch, hat strukturelle, gesellschaftliche Gründe. Die Untersuchungen dazu sind keine feministische Geheimwissenschaft, sondern füllen mittlerweile Bibliotheken. Und dürften auch den Richtern in Münster bekannt sein. Nicht ein Quotierungsgesetz, sondern der Ist-Zustand ist verfassungswidrig. Zu der Form der Appelle zurückzukehren, ist indiskutabel. Im Gegenteil: Frauen müssen jetzt für die verfassungsrechtliche Absicherung der Quote streiten. Helga Lukoschat