: Lob der Fröhlichkeit
■ EM-Qualifikationsspiel Italien-UdSSR
Nicht nur Gigi Riva, Italiens Gerd-Müller-Duplikat aus vergangenen Tagen, bekommt gelinde Bauchschmerzen, wenn er an das Qualifikationsspiel zur Europameisterschaft 1992 denkt, das heute nachmittag in Rom angepffifen wird. Für Riva ist das Match gegen die Sowjetunion „die wichtigste Partie der Periode 1990- 1992“. Sollten die Italiener, die sich beim ersten Spiel in Ungarn bereits mit einem bescheidenen 1:1 abfinden mußten, im Olympiastadion nicht gewinnen, droht nach dem Debakel des gegen Argentinien verlorenen WM-Halbfinales schon jetzt die nächste Katastrophe. Nur der Sieger der Gruppe 3 darf zur EM nach Schweden, und gerade die UdSSR hat eine gewisse Übung darin, dem Team des Azeglio Vicini kräftig in seine Europameisterschaftssuppe zu spucken.
Bei der EM '88, vor dem Halbfinale im Stuttgarter Neckarstadion, hatten die siegesgewissen Blauhemden noch kräftig über die östlichen Kontrahenten gespottet, den vorzugsweise aus Kiew stammenden Kickern Phantasielosigkeit vorgeworfen und in höchsten Tönen von der eigenen Kreativität und Eleganz geschwärmt. Auf dem Spielfeld waren diese Eigenschaften dann jedoch keinen Pfifferling wert, denn wo die Herren Giannini oder Vialli auch hinliefen, es waren schon ein paar Sowjets da, die ihnen, oft mit einer gehörigen Überdosis Grobheit, den Ball wegschnappten und ihrerseits blitzschnelle, arglistige Konter aufs Rasenparkett legten — Hammer-und- Sichel-Fußball in Perfektion. 2:0 hieß es am Schluß und die sonst so wortgewandten Fußkünstler aus Mailand, Genua und Rom waren noch lange danach sprachlos.
Die Zeiten haben sich jedoch geändert, auch im sowjetischen Fußball. Der grimme Valeri Lobanowski, einst unbeugsamer Kämpfer gegen westliche Dekadenz und die Versuchungen des Mammons, verdient sich mittlerweile ein goldenes Näschen in den Vereinten Arabischen Emiraten. Seinen Trainerjob hat er an Anatoli Bishowets weitergegeben, einen ehemaligen Stürmer, der selbst 40 Länderspiele auf dem Buckel hat — er debütierte 1966 im San Siro-Stadion gegen Italien — und das sowjetische Olympiateam 1988 in Seoul zur Goldmedaille führte. Bishowets, der von der italienischen Presse — nicht sonderlich originell — als „Gorbatschow des Balles“ gefeiert wird, hat die Nationalmannschaft nach dem blamablen Auftritt bei der WM, wo die UdSSR in der Vorrunde ausschied, völlig umgekrempelt. Zavarow, Chidjatulin, Rats, Demianenko, Bessonow und Dassajew sind nicht mehr dabei, die einstige Konzentration auf Kicker von Dynamo Kiew ist passé. Im Aufgebot für das Italienspiel stehen Akteure von sieben verschiedenen Clubs, dazu kommen die im Ausland tätigen Profis, in erster Linie Protassow (Olympiakos Piräus) und Michailitschenko (Sampdoria Genua), der allerdings leicht verletzt ist.
Viel entscheidender ist jedoch der neue Geist, den Bishowets seinen Mannen einzuhauchen gedenkt. „Lobanowski interessierte nur die Arbeit und die Perfektion des Trainings“, sagt der 44jährige, „meine Devise ist anders: mehr Fröhlichkeit, weniger Arbeit.“
Alles andere als fröhlich ist Bishowets Teamkollege Vicini. Er klagt, daß seine Leute, die allesamt im Europacup mitwirken, ausgelaugt seien und mußte zudem nach den verletzungsbedingten Ausfällen von Gianluca Vialli und Roberto Donadoni vor wenigen Tagen auch noch die Absage Giuseppe Gianninis verkraften.
So ruht die ganze Last auf den schmalen Schultern Roberto Baggios, der gemeinsam mit seinem „schrecklichen Zwilling“ Salvatore Schillaci die ersehnten Tore schießen soll. Alexej Michailitschenko sieht dem Auftritt des begeisterten Buddhisten mit den raffaelitischen Gesichtszügen aufgrund seiner bisherigen Italienerfahrung jedoch gelassen entgegen: „Mancini und Vialli, Baresi und van Basten haben mich mehr beeindruckt.“ Matti
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