Die Mission und die Logik des Krieges

■ Zur Reise Willy Brandts in den Irak und zur veränderten Weltszenerie KOMMENTARE

In den wenigen Wochen zwischen der ersten Ankündigung einer möglichen Irak-Reise und der jetzigen Entscheidung Willy Brandts hat sich die Lage dramatisch verändert. Die Geiselfrage steht nicht mehr im Vordergrund. Brandt selbst hat das jetzt bestätigt. Es ist eine Krieg-In-Sicht-Mission. Er reist zu einem Zeitpunkt, an dem, ausgehend von der US-Öffentlichkeit, eine weltweite Diskussion des möglichen Angriffstermins stattfindet. Noch nie ist in der Welt so präzis, so erschreckend nüchtern über Krieg und Frieden diskutiert worden, so als ob es sich um die Montage eines Küchenquirls handle. Man hat den Eindruck, die Regierungschefs und der Mann auf der Straße beteiligen sich an einem Strategiespiel, wobei in der jetzigen Phase der günstigste Eröffnungszug, der Auslösemechanismus für die Kriegslogik gesucht wird, austariert zwischen US-Wahlkampf, Steuererhöhungsdebatte, kühler Jahreszeit und Beginn des Ramadan. In dieses Strategiespiel gehört auch die Frage, inwieweit der internationale Erpressungsdruck, das Embargo erfolgreich ist, d.h. wie lange seine Wirksamkeit akzeptiert werden kann, ohne daß Saddam Hussein Wirkung zeigt.

In dieser Situation kann man zudem erschrecken, wie wenig friedensstiftend bzw. wie kriegsfördernd eine große Öffentlichkeit unter Umständen sein kann. Nur im Kriegsfalle kann niemand hinterher behaupten — wie seinerzeit deutsche Historiker nach dem Ersten Weltkrieg —, man sei in den Krieg „hineingeschlittert“. Die Tatsache, daß jetzt die Bundesregierung sich nicht nur hinter die Brandt-Reise gestellt hat, sondern auch selbst sich um eine „Europäisierung“ dieser Mission bemühte und für die Teilnahme von Pérez de Cuéllar plädierte, unterstreicht noch einmal die Bedrohlichkeit der Lage. Selbst wenn Prominente aus anderen europäischen Staaten doch nicht mitfahren sollten, ist dieser Versuch zu einer Art nicht erklärter europäischer Friedensmission geworden. Lafontaines Vorwurf, die Bundesregierung wolle mit der Unterstützung der Reise Wahlkampfpunkte machen, ist eher peinlich. Unter diesen Umständen jedenfalls kann der Erfolg der Brandt-Mission überhaupt nicht mehr darin bestehen, möglichst viele Geiseln mitzubringen. Obwohl es auch darum geht. Nur inzwischen ist auch unübersehbar, daß eine Geiselbefreiung eine brutale Zweideutigkeit hat — sie verringert die Bedenken gegen eine militärische Intervention. Brandts Erfolg wird sich daran messen müssen, ob danach ein Verhandlungsspielraum sichtbar wird. Viel mehr als sein Prestige steht auf dem Spiel. Kehrt er ohne die Nachricht eines Einlenkens von Saddam Hussein zurück, wird seine Reise möglicherweise Anlaß, Begründung oder Legitimation sein, die Auslösemechanik einer Kriegseröffnung in Gang zu setzen. Klaus Hartung