Thatcher bleibt allein zurück

■ Der Rücktritt ihres Vize-Premierministers Geoffrey Howe zeigt die tiefe Spaltung der Tories in der Europapolitik/ Howe will britische Beteiligung an Europäischer Währungsunion

Berlin (taz/ap/afp) — Wie einen Fußabtreter habe Margaret Thatcher ihn behandelt, meinte der Oppositionsführer Neil Kinnock mitleidig, nachdem Geoffrey Howe am Donnerstag abend das Handtuch geworfen und seine Rücktrittserklärung in der Downing Street abgegeben hatte. In den Tagen zuvor war der stellvertretende Premierminister Howe noch einmal mitten in die Schußlinie der Tory-Führung und der konservativen britischen Medien geraten: Er hatte es gewagt, Thatchers Auftreten auf dem EG-Gipfel am vergangenen Wochenende in Rom zu kritisieren, wo sie mit ihrem Veto gegen eine Konkretisierung der Europäischen Währungsunion ganz allein gegen die übrigen elf Regierungschefs stand. Nachdem Thatcher am Dienstag nicht einmal mehr bereit war, ihm im Unterhaus das Vertrauen auszusprechen, blieb ihrem über lange Jahre bedingungslosen Gefolgsmann kaum eine andere Möglichkeit als der Rückzug.

Howe warf der Premierministerin in seinem Rücktrittsgesuch vor, sie habe eine Stimmung geschaffen, die es Großbritannien sehr schwer mache, in der „vitalen“ Europafrage seinen Einfluß weiter geltend zu machen. Er sei deshalb nicht mehr in der Lage, ihre Politik zu stützen und könne nicht länger als Mitglied ihrer Regierung dienen, auch wenn er beileibe kein „Föderalist“ oder gar „Europa-Idealist“ sei — Bezeichnungen, mit denen Thatcher ihre europapolitischen Gegner zu titulieren pflegt.

Howe war der letzte „Überlebende“ des ursprünglichen Thatcher- Kabinetts von 1979. Lange wurde der heute 63jährige auch als Nachfolger für Thatcher gehandelt. Dieser Höhenflug endete, als er im vergangenen Jahr — damals noch als Außenminister — mit ihr in der Frage des europäischen Wechselkursmechanismus in Streit geriet. Bei einer großen Kabinettsumbildung im Sommer 89 schob ihn Thatcher daraufhin auf den politisch bedeutungslosen Posten des Vize-Premierministers ab, auf dem er immerhin ein Jahr lang ausharrte. Wenige Monate nach Howes damaliger Strafversetzung mußte Finanzminister Nigel Lawson das Kabinett verlassen. Auch Lawson wurde Opfer seiner positiven Haltung zum europäischen Wechselkursmechanismus.

Angeblich nahm Thatcher das Rücktrittsersuchen „mehr mit Bedauern als mit Zorn“ entgegen. Nach Angaben desselben Regierungssprechers hält die Regierungschefin die Unterschiede in den Auffassungen über Europa auch nicht für so unüberwindlich groß.

Daß Howes Position bei den Tories jedoch längst keine Einzelmeinung mehr ist, wurde schon wenige Stunden nach seinem Rücktritt deutlich. Der Tory-Abgeordnete Conal Gregory versicherte, Howe habe „im Namen vieler konservativer Abgeordneter“ gesprochen. Thatcher stehe in der Europa-Debatte mehr und mehr isoliert da. Andere politische Freunde erklärten, Howe habe nicht vor, in diesem Herbst gegen Thatcher für den Parteivorsitz zu kandidieren. Sein Rücktritt könne jedoch auch ohne eine solche Kandidatur den „pro-europäischen Flügel“ der Tories stärken.

Oppositionsführer Neil Kinnock erklärte zu Howes Rücktritt, Frau Thatcher sei von demjenigen gebissen worden, den sie wie einen „Fußabtreter“ behandelt habe. „Und sie verdient es,“ fügte er hinzu. Alle anderen Mitglieder der Regierung, die mit Geoffrey Howe einverstanden seien, sollten nun Farbe bekennen. Thatcher sei nicht in der Lage, eine Regierung zu führen, und solle gehen. Der Vorsitzende der Liberaldemokraten, Paddy Ashdown, erklärte: „Dies könnte der tödliche Schlag für Mrs. Thatcher sein.“

Fast zwölf Jahre nach Beginn der Thatcher-Ära stehen die Tories angesichts ihrer europäischen Isolation vor einer innerparteilichen Zerreißprobe. Die Stimmung im Land verheißt ihnen gegenwärtig nichts Gutes. Nach letzten Meinungsumfragen liegt die oppositionelle Labour-Partei bei der Wählergunst um satte fünfzehn Prozentpunkte in Führung. Doch gewählt wird in Großbritannien erst wieder im Sommer 1992. dora