Landtag ohne Dach überm Kopf

■ Thüringens Volksvertreter auf der (noch) erfolglosen Suche nach einem Domizil

Erfurt (taz) - Für die Koalitionsparteien CDU und FDP war der Fall klar: das 200.000 Einwohner zählende Erfurt/Gera sollte Regierungssitz und Landeshauptstadt des neuen Bundeslandes Thüringen werden. Das wollte Josef Duchac. Der Ministerpräsident wohnt schließlich in Gotha, und das liegt, vom Westen aus gesehen, kurz vor Erfurt. Von den Weimarer Bürgern wurde jedoch die Goethestadt, in der sich der Landtag immerhin konstituierte, ins Spiel gebracht.

Doch die Pläne von Duchac und seinem Innenminister Böck (CDU) wurden jetzt von einer Institution durchkreuzt, mit der selbst der Kanzler der Einheit schon immer Probleme hatte. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), der nicht Rechtsnachfolger des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) der Ex-DDR sein will, es aber dennoch faktisch ist, hat sich nämlich dort eingenistet, wo Duchac und seine Männer eigentlich den Landtag eingerichtet sehen wollen: im zentral gelegenen Haus der Gewerkschaften. Das Gebäude mit Grund und Boden sei „unstreitig Gewerkschaftseigentum“, meinte Rüdiger Stolze vom DGB-Hauptbüro Thüringen. Die von Duchac dem DGB angebotene Ausweichquartiere, u.a. handelte es sich um den ehemaligen Sitz des Kali-Kombinats Erfurt und das Gebäude des Wehrkreiskommandos der Volksarmee, waren dem DGB wohl zu anstößig.

Die Hände reiben sich jetzt die Weimarer und ihr christdemokratischer Bürgermeister. In der Goethe/Schiller-Stadt wächst die Zuversicht, daß Weimar doch noch zum Sitz einer permanent tagenden landeshoheitlichen Volksvertretung werden könnte. Doch die Landtagsparteien sind bislang nicht gewillt, die „Option Erfurt“ aufzugeben. Im Hauptausschuß soll in den nächsten Tagen eine Anzeige formuliert werden: „Landtag sucht Landtagsgebäude.“ Der neue Finanzminister wird tief in die Tasche greifen und viel Geduld aufbringen müssen, denn in Erfurt steigen die Mieten für Gewerberäume derzeit um rund 4.000 Prozent an. Und Zeitungsanzeigen in den lokalen Blättern erscheinen frühstens vier Wochen nach Anzeigenaufgabe. Und welcher Vermieter nimmt schon einen Landtag als Mieter, wenn er an eine solide Versicherung oder einen Kaufhauskonzern vermieten kann?

Einen Ausweg aus dem Dilemma bietet sich allerdings geradezu an: Da ohnehin rund zwei Drittel der Verwaltungsangestellten des neuen thüringischen Landtages aus Hessen kommen werden, könnte Duchac den Regierungssitz doch gleich nach Wiesbaden verlegen. Immerhin gibt es in Hessen auch eine CDU/FDP- Landesregierung und viel Platz im neuen Landtagsgebäude. Das würde uns tazlern die Arbeit erleichtern — und der hessisch-thüringischen Historie gerecht werden. K.-P. Klingelschmitt