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Kaspar, Kaspar über alles

■ »Hartwig Ebersbach, Malerei« — Eine Ausstellung im Alten Museum

Ebersbach ist Maler, fünfzig und hat ein Gesicht, das sein Werk bestimmt, seit er begriffen hat, daß die Welt, die vor unseren Füßen liegt, nur die eine, wahrscheinlich belanglosere Hälfte der ganzen Wahrheit ist.

Kein Holzschnitzer in Sachsens Wäldern hätte sich mehr Mühe geben können, als der Schöpfer, der diesem Künstler ein Antlitz meißelte, um das ihn jede Puppenbühne beneidet. Kaspar wurde der 1940 in Zwickau geborene Ebersbach von seinen Spielkameraden genannt und der Kaspar ist die Kunstfigur, die der Maler seit Jahren durch alle Höllen und Himmel seines Ichs prügelt. Kaspar darf leiden und lachen, darf sich in rot-gelb-schwarzen Farbwürsten wälzen, die Augen rollen lachen, grinsen und da weitermachen wo Ebersbach aufhören muß.

Wenn es überhaupt so etwas gibt wie deutsche Kunst so gehört der in Leipzig lebende Ebersbach zu den Malern, die diesem Begriff das Fleisch geben, an dem zu kauen es sich lohnt. Und das nicht trotz, sondern gerade wegen des politischen Phänomens DDR, das auch für Ebersbach 40 Jahre unkündbare Realität war. Denn wo im Westen der Markt den expressiven Aufbruch in der Malerei, die Sehnsucht nach Bildern, ins Fade inflationieren ließ, verschaffte die offizielle Ignoranz, den im Osten arbeitenden Künstlern die Zeit und die Niederlagen, die ihr Werk an Dichte gewinnen ließen, wenn — und hier trennte sich der Künstler vom »Arschloch« (Baselitz) — sie durchhielten und nicht ihre Kunst eines fragwürdigen Ruhmes wegen domestizierten. Kunst brauch zwar Freiheit um gesehen zu werden, aber nicht um entstehen zu können. Wer hier eine Bedingtheit konstruiert um à priori den neudeutschen Markt zu säubern, hat von Kunstgeschichte nichts verstanden. Ganz abgesehen davon, daß sich auch Arschlöcher gut verkaufen.

Ebersbachs Vita, jedenfalls, hält der Gesinnungsprüfung durch das deutsche Feuilleton stand. 1959 begann der Mann in Leipzig zu studieren, bei Heisig, dem Vater alles DDR-Expressiven. Seine im Alten Museum ausgestellten frühen Bilder sind verhalten, bewegen sich in erdigen Tönen zwischen sentimentalem Naturalismus und beginnendem Expressionismus. 1960 malte Ebersbach sein »Selbstbildnis mit Barbara«. Eine scheinbar banale Inszenierung des alten Themas Künstler und Muse, Ego und Weib. Die Frau, wie bei Beckmanns »Doppelbildnis mit Mina Tube« aus dem Jahr 1909, wird vorgeführt, sinnlich, weiblich und nur durch den Mann an ihrer Seite legitimiert. Doch anders als Beckmann, der, leger stehend, keinen Zweifel an dieser Ordnung aufkommen läßt, ist Ebersbach unsicher. Er sitzt, versteckt sich und seine Nase hinter dem Rücken der Frau und sucht — ein für die DDR-Ikonografie der sechziger Jahre bezeichnendes Detail — die Zigarette in der Hand Kraft, um der Welt zu trotzen. Drei Aktbilder aus dem Jahr 1963 versuchen gar nicht erst ihren Anlehnung an Corinth zu leugnen. Doch noch fehlt Ebersbach dessen Mut zur Farbe, der der Freude am Fleisch die vordergründig-kulinarische Süffisance nimmt.

1965 beteiligte sich der inzwischen diplomierte Künstler an der 7.Bezirkskunstausstellung und erntet für sein »Selbstbildnis mit Freunden« eine vernichtende Kritik. Der Vorwurf der »emotionalen Diskreditierung des sozialistischen Lebens« trifft den politisch durchaus mit der propagierten gesellschaftlichen Idee sympathisierenden Maler so tief, daß er das kritisierte Werk zerstört. Ähnlich verfährt sein Lehrer Heisig, der wie Ebersbach zu den gescholtenen jener Jahre gehört. Noch gibt Ebersbach nicht auf und stellt sich den geforderten Themen. 1974 entsteht die »Widmung an Chile«, ein Jahr später das »Porträt Thälmann« und 1977 schließlich ein Wandbild für die Leipziger Universität mit dem Titel »Antiimperialistische Solidarität«. In jenen Jahren — und auch das scheint oft vergessen — malte Jörg Immendorf in Köln seine maoistischen Propagandabilder, und sicher nicht, ohne vom Terror der Roten Garden während der Kulturrevolution Kenntnis gehabt zu haben.

Aus Ebersbachs Ära des ungetrübten politischen Engagements ist in Berlin das großformatige Ölgemälde »David und Goliath« zu sehen. 1969 gemalt, erinnert es an Willi Sittes Figurenaufläufen und teilt mit ihnen den schlampig-flüchtigen und spartanischen Farbauftrag. Doch Goliaths abgeschlagener Kopf in Davids Hand verrät den urwüchsigen Maler, dessen Liebe fürs existentielle Grundthema die didaktische Konstellation versaut. Blut, Angst und Grauen, doch noch hat Ebersbach den Kaspar, hat der Kaspar Ebersbach nicht. Der Erfolg blieb dem Künstler trotz der Hinwendung zu opportunen Themen versagt. Ebersbach ernährte sich von seiner Arbeit als Messe- und Ausstellungsgestalter, bis schließlich seine Zusammenarbeit mit dem Komponisten Friedrich Schenker und die Aufführung ihres grenzüberschreitenden Stücks »Missa Nigra« in Italien die ersehnte Anerkennung brachte. Der Kölner Sammler Peter Ludwig wurde aufmerksam, kaufte und Ebersbach begann nach innen zu schauen. Fortan kaum mehr als eine Figur im Bild und Farben, die immer stärker den Verlust an Raum durch die Intensität ihres Auftrags kompensierten. Ebersbach braucht keine Palette mehr. Er wirft die Tuben auf die Fläche, tritt, drückt sie aus und beginnt zu suchen, nach Formen und Bildern, die in ihm ruhen. Träume werden wichtig, Ebersbach trainiert ihre Rekonstruktion und holt immer öfter den Kaspar ans Licht.

1987, auf der X. DDR-Kunstausstellung hatte Ebersbachs wider Willen seinen endgültiger Durchbruch. »Kaspar II, Abwicklung eines Porträts«, fünf Tafeln, die zusammen, eine farbgewaltige Bewegungs- und Erregungsstudie ergeben und auf dem in Berlin ausgestellten 1973 gemalten »Kaspar I« aufbauen. Der Maler hatte sich — als Antwort auf die jahrelange öffentliche Mißachtung seines Werks in der DDR — geweigert, der repräsentativen Kunstschau mit einer Arbeit beizuwohnen. Da aber Professor Ludwig über den Staatlichen Kunsthandel gerade eben jenen »Kaspar II« erworben hatte, brauchte man den DDR- Kunst-Mäzen nur zu überreden, das Werk vor seinem Abtransport nach Westdeutschland in Dresden zwischenzulagern.

Ein Jahr später hatte Ebersbach die Nase voll und stellte seine Bilder vor das Jüngste Gericht. Kaspar, im »Abendmahl I«, einer 13teiligen Wandinstallation aus dem Jahr 1986, schon als Christus agierend, wird zum schwarzen Engel. In einer Folge von Tafeln, die erstmalig in der Leipziger Galerie Eigen+Art gezeigt wurden, richtet der Kaspar Ebersbachs Werk, schickt sie in den gelben Himmel oder in die schwarze Hölle. Der Künstler beugt sich dem Urteil und übermalt seine älteren Arbeiten gelb oder schwarz. Eigentlich sollte dies die letzte Rolle der Ebersbachschen Kunstfigur sein, doch der Kaspar läßt den Mann nicht los. Erst 1990, und auch das kann man im Alten Museum sehen, verwandelt sich der Kaspar in einen Drachen. Vorher aber darf er noch dem Ausbruch des »Vulkan Aso« beiwohnen. In der 1990 entstandenen Arbeit, treibt Ebersbach seine Vorliebe für raumgreifende Tafelbildinstallationen auf die Spitze und läßt drei beidseitig bemalte Hartfaserflächen, die als von glühender Lava überzogene Gebirgslandschaft im Museum stehen, von eine Kette monochromer Kasparporträts zerfetzen. Und schließlich der Drache, der in Ebersbachs letzten Arbeiten, denen man die Eile mit der sie geschaffen wurden ansieht, des Kaspars Mission übernimmt. André Meier

Die Ausstellung in der Neuen Berliner Galerie im Alten Museum ist bis zum 11. November zu sehen.

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