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Übungsgelände für Hobby-SA

■ Die Überfälle von Skinheads auf alternative Kultureinrichtungen häufen sich

Im Ostteil der Stadt häufen sich die Überfälle von Skinheads auf Ausländerwohnheime, Jugendklubs und alternative Kultureinrichtungen. Nur die spektakulärsten Fälle wie zum Beispiel die Überfälle auf das »Tacheles« oder den »Club 29« werden öffentlich bekannt.

Die Probleme, die es gerade, aber nicht nur, im Ostteil der Stadt mit Neonazis gibt, werden heruntergespielt oder tauchen gar nicht erst auf: Die CDU vermischt in ihren Plakaten »Straßenbanden«, »Drogenkriminalität« und Ausländer(wahlrecht), um in einem ressentimentgeladenen Law-and-order-Wahlkampf »dagegen« Front zu machen. Als gäbe es keine Unterschiede zwischen Jugendbanden, die sich in erster Linie miteinander prügeln, und Skinheadtrupps; als wären die einen — die sogenannten Ausländer — nicht Opfer der anderen, etlicher Skinheadtrupps; als wären die Aktionen gegen Ausländer, gegen bestimmte Kultureinrichtungen und gegen die, die irgendwie links oder intellektuell scheinen, nicht zielgerichtet; als würde das alles nicht in einer bestimmten gesellschaftlichen Atmosphäre stattfinden, für die die CDU und ihr nahestehende Blätter keine Verantwortung tragen. Die 'Super Illu‘, ein Joint-venture-Projekt zwischen 'Gong‘ und 'Burda‘ mit einem Verbreitungsgrad von etwa 4 Millionen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR, betreibt in ganzseitigen Anzeigen für Bücher über »Asylanten« (immer in Anführungsstrichen) der »Wirtschafts- und Verbands-PR- GmbH« regelrechte Volksverhetzung. Dagegen wendet sich die Ausländerbeauftragte Ost, Almuth Berger, besorgt und in Anlehnung an die Zigarettenaufdrucke des Bundesgesundheitsministeriums, an die Täter, die auf gutgemeinten Plakaten zu den eigentlichen Opfern ihrer Taten werden: »Fremdenhaß«, so heißt es auf Plakaten, »gefährdet Ihre eigene Gesundheit. Jede verbale oder handgreifliche Aktion gegenüber Sinti und Roma trägt zu Ihrer menschlichen Verkümmerung bei.«

Manchmal drohen die »Glatzen« nur damit zu kommen, manchmal bauen sie sich in Gruppen, mit Baseballschlägern bewehrt, vor den Einrichtungen auf, manchmal werden die Scheiben eingeworfen, manchmal treffen sie sich auch an bestimmten Tagen, sitzen drohend in den Räumen, grüßen mit deutschem Gruß, gröhlen faschistisches Liedgut, und manchmal machen sie auch mal ein ganzes Café — wie zum Beispiel den »Club 29« — platt. Eine Zeitlang, so berichtet Leonard Lorek von der »Brotfabrik«, war am Donnerstag im Café »Geierwallys« immer »Faschotag«. »Friedensengel«, so Ralf Bartholomäus von der Galerie »Weißer Elefant«, die solche Berichte vor kurzem noch für Panikmache hielten, werden wie das Dritte- Welt-Zentrum in der Winsstraße am eigenen Leib eines Besseren belehrt. Auch bei ihnen klirrten kürzlich die Scheiben.

Selbst wenn die Skins nicht gewalttätig wurden, so erreichen sie doch, daß viele Gäste sich aus Angst zurückziehen. Umsatzrückgänge und Schäden bedrohen inzwischen einige Läden in ihrer Existenz. Von der Polizei fühlt man sich im Stich gelassen, will sich aber auch nicht auf gleicher Ebene — als selbsternannte Schutztruppe — mit den Angreifern auseinandersetzen. Statt dessen strebt man eine »erweiterte Sicherheitspartnerschaft« an, wie Ralf Bartholomäus ausführt. Polizisten, so sagt er, sollten in Seminaren mit alternativer Kultur vertraut gemacht werden, sie sollten sich die Cafés, Galerien und anderen Einrichtungen anschauen, um Vorurteile abzubauen, kurz, man wolle sich kennenlernen. Von seiten der Polizei sei man da allerdings etwas zurückhaltend.

Am 6. Oktober gingen verschiedene Initiativen — von der Galerie »Weißer Elefant« über »Brotfabrik«, »BasisDruck Verlagsgesellschaft« und »Kiezkultur Friedrichshain« zum »Soziokulturelles Zentrum Weißensee« usw. — in einem offenen Brief an den Regierenden Bürgermeister von Berlin sowie die Bezirksbürgermeister von Weißensee, Prenzlauer Berg, Friedrichshain und Mitte an die Öffentlichkeit. Inzwischen stünden, so die Schreiber, »Bezirke im Osten der Stadt einer Hobby-SA als Übungsgelände zur Verfügung, ohne daß wir erkennen können, daß sich die politisch Zuständigen dieser Wirklichkeit bewußt sind«. Die Absender des Briefes wollten »wissen, was der Senat und die Bezirksämter zu tun gedenken, auch im Ostteil Berlins ein Klima herzustellen, das frei ist von Ängsten«.

Reagiert haben jedoch weder der amtierende Bürgermeister noch einige besonders betroffene Bezirke wie Mitte oder Weißensee. Einladungen zu Gesprächen gab es nur vom Bezirk Friedrichshain. Dessen Bürgermeister, Helios Mendiburu (SPD), ließ launig in einem Nebensatz wissen, so Leonard Lorek, daß KGB und Stasi ja früher schon etliche Schändungen jüdischer Friedhöfe auf dem Gebiet der ehemaligen BRD selber inszeniert hätten, und spielte so die alltäglich erfahrenen Bedrohungen herunter. Momentan ist er im Urlaub und übergab die Angelegenheit an seine Bezirksstadträtin für Bildung und Kultur, Marita Knauf (SPD) (siehe Interview).

Konkrete Unterstützung erfuhr man ansonsten nur beim amtierenden Bezirksbürgermeister vom Prenzlauer Berg, Zoels (Bündnis 90), der zwei bis drei ABM-Stellen zusagte, die sich um eine öffentliche Dokumentation der Überfälle kümmern sollen.

Die betroffenen Projekte wollen sich am kommenden Montag in der »Brotfabrik« ganz offiziell zusammenschließen, um gemeinsam und besser Öffentlichkeit herstellen zu können. Der Illusion, daß Schutz allein nichts hilft, gibt man sich nicht hin; statt dessen hofft man durch mehr Mittel für multikulturelle Arbeit besser im Kiez verankert und im sozialen Umfeld akzeptiert zu werden, um den Leuten von der »Hobby-SA« so den Boden zu entziehen, auf dem sie nur operieren kann. Detlef Kuhlbrodt

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