Über allen Wipfeln schwebt Unruh'

■ Im »Bitterfeld der Mark« nordwestlich von Berlin wächst der Protest gegen einen geplanten Gewerbepark/ 4.000 bis 6.000 neue Arbeitsstellen sollen geschaffen werden/ 210 Hektar Kiefern sollen fallen/ Planer will »Ausgleichswälder« anlegen

Velten. Beim Thema »Gewerbepark« schüttelte der Förster verständnislos den Kopf. Die Baumreihen, die stehen bleiben sollen, seien doch nur »Gerippe«. »Und wenn man einen Wald im Westen aufschlägt«, sagt Manfred Rupp vom staatlichen Forstbetrieb Oranienburg, »dann ist nach dem ersten Herbststurm die Hälfte weg.«

Dem Hohenschöppinger Forst droht das teilweise Abholzen, denn im Industriegebiet Hennigsdorf- Velten hinter Berlins nordwestlicher Stadtgrenze kriselt die Ökonomie. Das Stahlwerk und andere Betriebe setzen zahlreiche Arbeitskräfte auf die Straße. Deshalb kam der Vorschlag einer Westberliner Planungsgesellschaft, hier einen Gewerbepark aufzubauen, in den Augen der Lokalpolitiker sehr gelegen. Schließlich sollen hierbei 4.000 bis 6.000 Arbeitsplätze entstehen.

Zweifellos: Das Waldareal ist ein Filetstück. Eingerahmt vom Veltener Stichkanal im Westen und dem Oder-Havel-Kanal im Osten, von der Hamburger Autobahn im Nordosten und dem S-Bahn-Kreuz Hennigsdorf-Nord im Süden, hat es eine »Toplage«, wie der Oranienburger Landrat Karl-Heinz Schröter (SPD) das formulierte. Einziger Nachteil des begehrten Grundstücks: Es stehen märkische Kiefern drauf, 45 Jahre alt und damit so alt wie die unlängst gefällte Einheitspartei.

Die Bäume sind denn auch das Hauptargument der Umweltschützer gegen das Projekt. Gegen eine Gewerbeansiedlung in Velten haben sie grundsätzlich nichts einzuwenden. Doch im Wald soll es nicht sein: Anfang vergangener Woche postierten sich Mahnwachen in Hennigsdorf und Velten und sammelten 1.800 Unterschriften. Im stark belasteten »Bitterfeld der Mark«, so argumentieren sie, dürfe der Wald als Staubfänger und Sauerstoffproduzent nicht verlorengehen. Nach ihren Informationen sollen von insgesamt 350 Hektar Wald 210 Hektar fallen — das entspräche einem Fünftel der Fläche Kreuzbergs. »Auch für Berlin ist der Forst wichtig«, sagt Helga Garduhn von der jüngst gegründeten Bürgerinitiative. Eine Kaltluftschneise für die erhitzte Großstadt laufe von der Beetzer Heide und dem Kremmener Forst über den jetzt bedrohten Hohenschöppinger Wald direkt zur Stolper Heide und zum Tegeler Forst: »Dieser Korridor darf nicht unterbrochen werden.«

Der federführende Planer Christian Kühnel aus Charlottenburg will indes nicht von dem bewaldeten Filetstück lassen. Die Standortqualitäten seien »umwerfend«, sagt der Architekt. Als Ersatz für die Kiefern will er »Ausgleichswälder« schaffen. Am besten nördlich von Hennigsdorf und mit Laubbäumen, denn dort sei es »relativ feucht«. Der jetzige Kiefernwald ist Kühnels Ansicht nach ohnehin kein richtiger Wald, sondern nur ein »Baumacker«. Und wer interessiert sich schon für so etwas?

Die nach Angaben der Umweltschützer 450 Hektar großen Industriebrachen der Gegend kommen für den Planer nicht in Frage. Denn sie sind mit Altlasten kontaminiert. »Das kann man Grundstück für Grundstück nachweisen.« Ein anderer Vorteil, der auf der Hand liegt: Der Forst war volks- und damit staatseigen und wird jetzt von der Treuhandgesellschaft verwaltet. Es gibt also nur einen potentiellen Verkäufer.

Als Nettofläche benötigen die Investoren — bei denen Kühnel kein Name, sondern nur das Adjektiv »groß« einfällt — zunächst rund 60 Hektar Waldfläche. Im Zuge des Aufstellens eines lokalen Flächennutzungsplans sei ein Umwidmen des Waldstücks bereits beantragt, sagt der Planer. Auch eine Entwicklungsgesellschaft sei schon gegründet. Kühnel ist sich sicher, daß letztlich die »Vernunft« siegen wird. Zu gut deutsch: Der Gewerbepark kommt — notfalls etwas kleiner. Kühnel will im Frühjahr nächsten Jahres anfangen.

Bis jetzt ist noch nichts entschieden — weder bei den Behörden in Potsdam und Oranienburg noch bei der Treuhandgesellschaft. Neben den Argumenten der Umweltschützer kann der Hohenschöppinger Forst nun auch sein Gewohnheitsrecht geltend machen. Denn er war immer schon da und ist viel älter als die jetzt 45jährigen Kiefern. »Wir haben hier nie etwas anderes gekannt als den Staatswald«, sagt der Förster. Christian Böhmer