piwik no script img

“Askese des Blickes“

■ Oldenburger „Karl-Jaspers-Vorlesungen“ / Gastprofessor: Ivan Illich

Who is who, Karl Jaspers — nie gehört? Das philosophische Wörterbuch gibt stichwortartig Auskunft: Jaspers, Karl, Philosoph, geboren am 23.2.1883 in Oldenburg, gestorben am 26.2.1969 in Basel.

Doch nicht nur sein Geburtsort gab den Ausschlag, daß ein junges Projekt an der Oldenburger Universität den Namen „Karl-Jaspers-Vorlesungen zu Fragen der Zeit“ trägt. Mehr ist es wohl die zeitkritische Haltung des Philosophen Jaspers, die die Veranstaltungen des Projekts prägt — und die nichts mit eitlem Lokalpatriotismus zu tun hat.

Rudolf zur Lippe, der an der Universität Oldenburg eine Professur für Philosophie und Ästhetik hat, initiierte die „Karl-Jaspers-Vorlesungen zu Fragen der Zeit“, die, in Verbindung mit der Stiftung Niedersachsen als Träger, inmitten des universitären Bildungs-Massenbetriebes wie ein Land Utopia erscheinen.

„Freiheit ist angewiesen auf die Freiheit aller anderen“-nimmt man diesen Satz von Karl Jaspers ernst, so ist er mehr als nur ein tolerantes Lippenbekenntnis, hinter der alles in trügerischer Selbstsicherheit weiterläuft wie bisher. Und so widmen sich die „Karl-Jaspers-Vorlesungen“ gerade jenen Fragen der Zeit, auf die kaum jemand hört oder für die gerade (mal wieder) keine Zeit ist, da die vielzitierten „Sachzwänge“ spätestens seit der Zeitrechnung des „einig Vaterlandes“ so manches schlucken.

Da markieren die bisherigen, in Kolloquien bearbeiteten Themen wie die Bedeutung von Mythos in der Gegenwart, der Entwurf einer Landwirtschaftsphilosophie und Fragen nach Gesellschaftsformen jenseits von menschenverwaltendem Sozialismus und westlichem Rund-um-Know- how mögliche Wege aus dem allgemeinen intellektuellen Lamento.

Und auch die Vermittlungsformen unterscheiden sich deutlich vom festgefahrenen universitären Seminarbetrieb: In „Akademischen Wirtshäusern“ und „Akademischen Frühstücken“ können sich StudentInnen und andere Interessierte mit den ForscherInnen im besten Sinne des Wortes „an einen Tisch setzen“.

Wenn am kommenden Mittwoch in der Uni Oldenburg die erste Gastprofessur an den Gesellschaftswissenschaftler und streitbaren Zivilisationskritiker Ivan Illich verliehen wird, so ist das nicht nur im Rahmen der „Karl- Jaspers-Vorlesungen“ eine aufregende Premiere: Da es sich um eine offene Stiftungsprofessur handelt, entfällt die Bindung an eine bestimmte Fakultät und an das damit oft verbundene thematische Pflichtprogramm — von dem Illichs angekündigtes Thema „Askese des Blickes“ bereits vorab weit entfernt sein dürfte.

In seinem Gastsemester an der Universität Oldenburg wird Ivan Illich neben einem großen Festvortrag heute um 18 Uhr (Vortragssaal der Uni-Bibliothek) vier öffenliche Vorlesungen und vier öffentliche Seminare abhalten, in denen er Fragen zum (Miß)-Verhältnis von der wissenschaftlich- kritischen Ausbildung des Kopfes und der der inneren und äußeren Sinne nachgehen wird — und vielleicht ist Utopia gar nicht so weit von der Realität entfernt...

Ulrike Brenning

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen