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Wackersteine zu Faustkeilchen!

■ Symposion deutscher KunstmacherInnen im Haus am Deich: Unruhe im Reich des Möglichen

Lange, lange tappen wir treppauf und —nieder, hier hinein und auch dort, niemand weiß Rat, in allen Räumen ist bloß Staub und Provisorium, und Stromkabelschlingpflanzen wachsen durch die Korridore. Am Deich das Künstler-Haus ist immer noch ein solches erst potentiell, sonst eine Baustelle. Wo ist jetzt die mit mir verabredete Künstlerschaft hin? War es der scharfe Wind, welcher etwa ausgestreute Brosamen verweht hat? Aber da sind sie ja, um einen Durcheinandertisch herum, Milch, Wein und Käse drauf, und blicken ernsthaft. Veranstalter von Kultursenat und Arbeiterkammer sind auch gekommen; da reden wir sogleich über das Symposion, was im Haus am Deich um das historisch schon ganz überlastete Datum 9.11. herum stattfinden wird und auf einen durch und durch künstlerischen Titel getauft worden ist, ich zitiere: (0911) 19 89 90 symposion HALLE LEIPZIG BERLIN BREMEN. Wählen Sie mal, hihi!

Erst war ja ein regelrechtes Revolutions-Spektakel geplant, eine Art Remake vielleicht des letztjährigen, allein es ging und ging nicht und wollte kein Begängnis werden, wie auch. Jetzt also macht man, statt Krawumm mit Trompeten, einen passenden Prozeß: paar Künstler und —innen werkeln, schaffen und performieren seit Dienstag im halbfertigen Bau herum, miteinander oder nicht, je nach Ermessen. Bremer dabei (Gisiger, Burchard, Dobers, Sievert), Ex-DDRler (Jo Doese, Klaus Völker, Matthias Grimm) und Leute vom Ostberliner Kunsthaus Tacheles und der hiesige Poet Abromeit und Musikanten undsoweiter.

Noch sitzen wir und beplaudern das Projekt und finden solches Umrühren gut, am Freitag aber, wenn ab 22 Uhr allgemeiner Einlaß ist, dann wird, ob gewollt oder nicht, eines jeden Tun und Lassen dem Publikum vor Augen ein deutsch-deutsches sein, eine Stellungnahme zur sogenannten Nationalbaustelle. Wünschen sie das, die Beitragenden, wo in Wahrheit alles plattenbaumäßig schon fix gefertigt ist? Ach, seh'n sie so eng nicht, überhaupt, sagt Klaus Völker, sind sie Baustellen gewöhnt, und alle nicken; überhaupt, stelle ich mir vor, hausen Künstlers, blinkernd wie Schuhus, im Potentiellen. Das schönste Wort hat Jo Döse gesprochen, der die Werkstattsituation, solange einem zum anderen nix mehr einfällt, prima findet, jedoch, bewahre!, bloß taktisch, nämlich bald geht es dann wieder los, „das Neue da umrammeln“.

Wochenlang ist Gustav Gisiger, Bremer Künstler und immerwährender Zündfunke der Projektmaschine, umhergereist in der gewesenen DDR, um Beiträger zusammenzutrommeln; kein leichtes Amt, an Klaus Völkers Tür pochte er, da war der „Gustav schon ganz erschlagen“ (Völker) von lauter Absagen. „Denen sind jetzt ganz schön die Dielen entzogen“, sagt Matthias Grimm. Alle Künstler mit sich beschäftigt oder wuselig oder verängstigt. Sind nix Rechtes mehr drüben, von einer Art Outside-Ruch umweht, der Arbeitsscheu verdächtigt. Und aus den Ateliers geschmissen, so sie nicht ordentlich die neue Miete zahlen.

Die, welche zugesagt haben, reden zwar viel von provisorischer Existenz, vom Leben im Zwischenland und solchen Dingen, aber „nönönö!“, sie freuen sich doch schon drauf, was zu machen. Aber was? Würgen sie jetzt ihre schweren Wackersteine aus dem Bauch und metzen Faustkeilchen der Widersetzlichkeit draus? Oder schweißen sie, voll autogen, zusammen, was Gott an Eisen wachsen ließ? Oder ganz anders? Also gehn wir noch rum im Haus Am Deich.

Drauß' auf dem Hof wird Gisiger, sagt er und kneift verschmitzt die Augen, ein „deutsches Alphabet“ gießen, live in process, in einer Ecke steht dann auf verlassener Bühne ein verlassenes Rednerpult, gegenüber Reihen von Sandstühlen, (wo sind sie gebliehiebenß). Musizi, vorwiegend des Jazz, werden frei durchs Haus flottieren und Fahrstuhl fahren; in der Schlosserei die Heavy-Metal-Maschinen werden vielleicht ein bißchen dumm aussehen, im Falle daß Klaus Völker ihnen „was ganzganz Leichtes“ durch die Bude spannt; Lieder werden gesungen und Deklamationen ausgestoßen; irgendwo steht logischerweise auch eine Glotze und tut ganz unwichtig, da sieht man einen Kalender durchblättern im Gegenwert eines Jahres, und drüber dräut in langen Echtzeit- Schwüngen ein Pendel. Und vieles mehr. Oder ganz anders. Potentiell. Manfred Dworschak

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