: Nach Vorschrift krank
■ Oldenburger Kunststoff-Werk Peguform weiter als Krankmacher im Verdacht / Trotz behördlicher Entwarnung
„Sie müssen sich die Situation der Kinder vorstellen. Die werden von Arzt zu Arzt gereicht, werden da diagnostiziert, dort im Krankenhaus untersucht. Irgendwann reicht es. Ich habe keine Lust mehr, daß alles so zerredet wird. Ich werde die Konsequenzen ziehen und Oldenburg verlassen.“ Verbittertes Resumée einer der wortführenden Mütter gegen die Oldenburger Firma Peguform nach zweistündiger Debatte am Dienstag abend. Peguform, eine bislang unbescholtene Firma, die ins Gerede gekommen ist, weil sie das produziert, was wir alle gerne haben wollen. Kunststoff-Stoßstangen sind vor allem im Sortiment, lackiert mit umweltbelastenden Sprays und hohhen Lösemittelanteilen — denn auch der funktionalste Teil des Autos muß noch gehobenen ästhetischen Ansprüchen genügen. Bei der Lackierung aber, so der massive Vorwurd, den Bewohnner der anliegenden Stadtteile Osternburg und Donnerschwee erheben, sollen jene Stoffe anfallen, die verantwortlich sind für periodische Geruchsbelästigungen und rätselhafte Krankheitssymptome. Davon betroffen sind mittlerweile an die 130 Kinder. Am Dienstag nun riefen die Grünen, die sich bislang als einzige Ratspartei der Sache annahmen, alle Beteiligten in einen Saal — die Eltern, die Firma, das Gewerbeaufsichtsamt, die Gesundheitsbehörde und fast 300 kamen.
Es wurde ein zweistündiges Lehrstück in puncto Unzuständigkeit. Konfrontiert mit den übereinstimmenden Krankheitsbildern in Oldenburg und der frappierenden Tatsache, daß auch in der Nähe des Peguform-Hauptwerkes im Südschwarzwald seit Jahren dieselben Symptome bei Bewohnern zu beobachten sind, flüchtete sich der Geschäftsführer Günter Burghoff in Sätze wie: „So dürfen wir zumindest die Aussage, daß wir stinken, anzweifeln.“ Keine Minute war das aufrechtzuerhalten, dann gestand er zu: „Wir wissen auch, woher dieser Gestank kommt.“ Der Fehler sei entdeckt, Abhilfe längst im Gange. Trotzdem räumte er auch noch ein: „Wir sind, und das müssen wir zugeben, in einer Testphase.“
Testphase — kaum war das Wort gefallen, da drängte den Saal die Frage, auf wessen Kosten denn? Auf die der unmittelbar benachbarten Kindertagesstätte etwa, die in diesem Jahr nie erreichte Krankenstand-Rekordmarken aufstellte. Deren Kinder meist Krankheitssymptome aufweisen, die in der Fachliteratur unter toxischen Auswirkungen von Lösungsmitteldämpfen nachzulesen sind. Doch auch angesichts der Fülle an Indizien, der Leiter des Gesundheitsamtes, Dr. Michael Friedrich sprach davon, daß bislang „keine Beweise für Schädigungen der Gesundheit“ vorlägen. Und auch das Gewerbeaufsichtsamt, mit der technischen Kontrolle befaßt, bestätgt, daß sich die Emmissionen aus den beiden Schornsteinen der Firma unterhalb der zulässigen Grenzwerte der TA Luft bewegen.
„Mir ist es scheißegal, ob das minderwertige Stoffe sind, die da rauskommen — meine Kinder sind krank“, reagierte eine Mutter auf die langatmigen Zahlendetails der Behördenvertreter. Menschen werden offensichtlich auch unterhalb der zugelassenen Grenzwerte krank. Doch für diesen Fall, so drängte sich der Eindruck auf, haben sie gefälligst selbst den Beweis herbeizuführen, was denn Ursache ihrer Krankheit sei.
Weder die Tatsache, daß sich nach zwei, drei Nachfragen herausstellte, welche Messungen der TÜV Hannover, der in den vergangenen zwei Wochen das Werk untersucht hatte, nicht berücksichtigte noch das Wissen um die Unzulänglichkeit der TA Luft, die zwar Emmissionshöchstwerte festlegt, aber die Stoffe, die dann bei den umliegenden Bewohnern landen, nicht erfaßt, konnte die staatlichen Kontrolleure rühren. So kündigten die Grünen an, selbst ein Institut mit Untersuchungen zu beauftragen. Es soll dort messen, wo sich Gestank und krankmachende Symptome breit machen: bei den betroffenen Familien zu Hause. Bei denen, die gestern berichteten: „Da atmet man eine Luft ein, als hätte man einen Farbeimer übergestülpt bekommen.“ Gödeke M.
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