: Es gibt nichts zu sagen
„Longtime Companion“ von Craig Lucas und Norman René: Eine sehr amerikanische Zwischenbilanz über acht Jahre Aids ■ Von Thomas Kuppinger
An Begräbnisse kann man sich im Laufe der Jahre fast gewöhnen, wenn um einen herum ständig gestorben wird. Letzte Worte finden sich mit der Zeit leichter, und die soundsovielte anschließende Gedenkparty kann sogar richtig komisch werden. Rituale überdecken notdürftig die bittere Wahrheit: Über Aids gibt es in allerletzter Konsequenz nichts zu sagen. Unerbittlich und sinnlos tötet die Krankheit einen Menschen nach dem anderen. In jedem einzelnen Fall siegt der Tod nach einem grausam aussichtslosen Kampf mit dem vermeintlichen Prinzip Hoffnung.
Diese Sprachlosigkeit haben die Macher von Longtime Companion erkannt — und in den Mittelpunkt ihres Films gestellt. Nur darin — und in einem ganz zaghaft artikulierten „Trotzdem“ — liegt die neue Qualität von Longtime Companion, dem ersten großen US-Spielfilm zum Thema Aids. Herausgebracht hat ihn die renommierte, nichtkommerzielle New Yorker Filmgesellschaft „American Playhouse“ — nach einem fast aussichtslosen Kampf um Gelder, Coproduzenten, Verleiher und bekannte Hauptdarsteller. Filme kann man in Amerika über alles machen, nur nicht über Aids und Schwule.
Die Geschichte aus der Hochglanzwelt schwuler New Yorker Yuppies behandelt jenen Aspekt von Aids, in dem Politik keine Bedeutung mehr hat. Erzählt wird vordergründig der Einzug der Krankheit in eine heile, sonnige, wohlbetuchte Welt. Doch anders als in den meisten Filmen zum Thema endet er nicht mit faulen Eiern, die auf den Bürgermeister geschmissen werden, mit solidarischem Krankenpflege-Aktivismus und der Verteufelung der Reagans, Gauweilers und böser Schwulenhasser. Keine befreiende politische Wut lüftet den Tränenschleier.
Die Geschichte beginnt an einem gewöhnlichen Sommertag im Ferienrefugium der New Yorker Mittelklasse-Schwulen, am Strand von Fire Island. Es ist der 3. Juli 1981. Brandung, Drinks, Muskeln, Sonnenbräune — happy gay life. Eine Seite aus der 'New York Times‘ geht von Hand zu Hand. Man hat bei Homosexuellen Männern einen merkwürdigen Krebs entdeckt, meldet das Blatt. Irritiert, amüsiert, nebenbei wird die Nachricht zur Kenntnis genommen. Niemand ahnt, daß er den letzten Tag jener kurzen Epoche erlebt, in der für die Schwulen alles endlich nur immer noch besser werden konnte. Zumal für die Protagonisten des Films: Sie haben es geschafft, leben als Anwälte, Fernsehmacher, Schauspieler ihr Schickimicki-Leben zwischen Gourmet-Restaurants, Ehe(!)bett und Fitneßstudio in vollen Zügen.
In den kommenden acht Jahren wird „es“ unaufhaltsam das Thema, bekommt einen Namen, ängstigt, schlägt zu, tötet. Die vier Großbuchstaben lassen die sonnige Welt von Fire Island ganz langsam verblassen. Krankenhäuser ersetzen TV-Studios, Pillenkörbchen werden zu stillosen, obszönen Accessoires im schicken Design-Ambiente. Erst stirbt Paul, dann erwischt Aids Sean, den renommierten TV-Drehbuchautoren. Die Freunde stellen sich dem widerwillig. Stilvoll arrangiert man Rosensträuße ums Krankenbett, gibt Bussi — und wäscht sich hinterher heimlich panisch Lippen und Wangen. Typisch Amerika: Extrapillen, -vitamine und -biosäfte gegen alles und jedes werden angeschafft. Schließlich gibt es keinen Fleck, für den es keinen Fleckentferner gibt, sagt doch das Fernsehen jeden Tag. Und Sean schreibt todkrank so lange Drehbücher für belanglose Soap- operas, bis die Krankheit sein Hirn erfaßt. Sean (erschreckend realistisch: Mark Lamos) zerfällt, kann kaum noch sprechen, verliert jegliche körperliche Attraktivität, macht ins Bett, liegt sich wund, wird eine Last...
Sein Liebhaber David — brillant gespielt von Bruce Davison — übernimmt nicht nur dessen Arbeit, sondern auch das Management von Seans Rest Leben: Welche Arznei schlucken „wir“ diese Woche, welche setzen „wir“ ab, was bekommt „uns“. David ist der „longtime companion“. Mit diesem Ausdruck mogeln sich amerikanische Zeitungen in Nachrufen auf schwule Prominente gewöhnlich um das Wort „lover“ herum. Prominente männliche Amerikaner haben keine männlichen Liebhaber, sondern allenfalls „langjährige Lebensgefährten“.
David flüchtet sich nicht in die vielfältigen hilfreichen Ablenkungen einer solchen Pflegesituation, in medizinische und therapeutische Details. Pathetische Phrasen von der Würde des Sterbens kommen ebensowenig vor wie Suche nach Sinn. Sean soll zu Hause sterben. Mehr ist nicht zu erreichen — aber auch nicht weniger. An dieser Pflichterfüllung wächst er fast unmerklich.
In einer quälend langen Sterbeszene drängt er seinen Liebhaber schließlich mit befehlender, harter Stimme in den Tod. „Laß los“, sagt er immer wieder. „Halt dich nicht fest, laß dich fallen.“ In dieser ruhigen, sachlichen Unerbittlichkeit und Schärfe, mit der David schließlich völlig unsentimental der Macht des Schicksals den Weg freigibt, liegt die eigentliche Aussage und Qualität von Longtime Companion. Es ist die Erkenntnis, daß irgendwann nicht nur die Antworten und Waffen, sondern auch die Fragen ausgehen. Es gibt nichts zu sagen.
In dieser radikalen Ehrlichkeit liegt die Qualität des Filmes — und sie alleine rechtfertigt diese positive Kritik des Streifens. Viele Europäer wird das Yuppie-Milieu des Streifens mindestens ebenso nerven wie seine konventionelle, hektische Szenenwechsel-Machart à la Denver- Clan. Hollywood ist immer präsent. Wer erleidet Aids schon im sanften Gegenlicht, weich gepolstert auf einem sechsstelligen Jahreseinkommen, umsorgt von kraftstrotzenden blauäugigen US-Bilderbuchboys in Maßanzügen? In einem schwulen Milieu, das Ehe, Monogamie und bürgerliche Rechtschaffenheit so hochhält, als bewerbe man sich um den Segen des Papstes. Die Kamera darf allenfalls einmal ein Küßchen filmen, eine brüderliche Umarmung von Mann zu Mann, ein unter dem ehelichen Laken hervorgerutschtes Bein. Man fragt sich fast, wo die Leute ihr Virus herhaben.
Entwaffnend ehrlich konterte Produzent und Motor Lindsay Law in Berlin auf solche sehr europäische Kritik. Eine Botschaft des Films sei auch die Nachricht von der Existenz des normalen, langweiligen Schwulenpaares. Noch immer leide man in Amerika unter den Homo-Klischees Hollywoods. Entweder seien die Schwulen dort Opfer, schrille Tunten oder dämonische, perverse Mörder. Longtime Companion, so Law über seinen Film, „hat endlich das Klischee gebrochen, daß man über Schwule keine erfolgreichen Filme machen kann“. Der Beweis wurde an den Kinokassen erbracht. In den USA spielte der Streifen bereits in den ersten zwei Monaten das Dreifache seiner Produktionskosten ein, ein Umstand, der drei große Aids- Organisationen — darunter die „Gay Mens health Crisis“ in New York — freuen dürfte, die an den Gewinnen beteiligt werden.
Norman René: Longtime Companion . Drehbuch: Craig Lucas, mit Stephen Caffrey, Patrick Cassidy, Brian Cousins, Bruce Davison, USA 1989, 96 Min.
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