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Die Männer, die mich anschauen

Ein Gespräch mit der Schauspielerin Josiane Balasko  ■ Von Gerhard Midding

Ein Mann (Gérard Depardieu) verliebt sich in eine Frau (Josiane Balasko), die weit weniger schön ist als seine Ehefrau (Carole Bouquet): „Trop belle pour toi“(„Zu schön für dich“) — der neue Film von Bertrand Blier. Gerhard Midding sprach für die taz mit der weniger schönen der beiden Frauen. Balasko (geb. 1951) zählt in Frankreich zu den großen Komödiantinnen auf der Bühne und im Film. Ihre Karriere begann sie bei der freien Pariser Theatergruppe „Splendid“, schrieb dort Sketche und spielte Kabarett. Sie wirkte in circa 30 Filmen mit, u.a. von Patrice Leconte und Andre Techiné. Für zwei Filme zeichnet sie auch als Autorin und Regisseurin verantwortlich. Bis heute tritt sie auch im „Splendid“ auf.

taz: Madame Balasko, was war für Sie der größere Anreiz, die Rolle der Colette zu spielen: die Art, in der Bertrand Blier sie geschrieben hatte, oder die Tatsache, daß Trop belle pour toi eine derart ungewöhnliche Dreiecksgeschichte erzählt?

Josiane Balasko: Ich hatte mich bereiterklärt, in einem Film von Bertrand Blier mitzuspielen, noch bevor ich das Drehbuch kannte! (lacht) Natürlich kannte ich das Sujet des Films: Bertrand sagte, er habe eine Idee für eine Dreiecksgeschichte, in der Gérard Depardieu und Carole Bouquet ein Ehepaar und ich die Mätresse spielen sollten. Darüber mußte ich erst einmal ungeheuer lachen, denn die Umkehrung der üblichen Dreieckssituation amüsierte mich sehr. Aber Bertrand sagte: „Das wird kein komischer Film, das wird ein ernster Film.“ Hinzu kam: Bertrand hatte die Rolle ausdrücklich für mich geschrieben. Er wollte, das ich einmal in ein anderes Rollenfach überwechsle und einen dramatischeren Part übernehme.

Weshalb waren Sie bereit, eine Rolle in einem Blier-Film zu spielen, ohne das Buch zu kennen? Was gab Ihnen die Sicherheit und das Vertrauen?

Ich liebe seine Filme, und ich glaube, er ist einer der größten Filmautoren, die wir im Augenblick in Frankreich haben: vielleicht ist er der kühnste, der verstörendste von allen. Ich liebe seine Dialoge, und ich weiß, daß er die Figuren und die Schauspieler mit sehr viel Respekt behandelt. Das war gerade in diesem Film sehr wichtig, denn es gab einige sehr gewagte und fragile Szenen im Film, zum Beispiel die Liebesszenen.

Trop belle pour toi ist, was die Dialoge betrifft, von bemerkenswerter Theatralik.

Gerade das gefiel mir so gut am Drehbuch! Es ist im Kino so selten geworden, daß man schöne Dialoge zu sprechen bekommt, auch wenn sie sehr theatralisch wirken. In Frankreich sind die Dialoge oft sehr pointiert, aber nicht unbedingt schön. Ich finde, daß Bertrand in diesem Film den Anschluß gefunden hat zur Tradition der französischen Vorkriegsfilme, die von Poeten wie Jacques Prévert und anderen geschrieben wurden.

Aber finden Sie nicht auch, daß die Dialoge und bestimmte Stilmittel wie Monologe und Apartés den Bogen schlagen zur klassischen französischen Theatertradition eines Marivaux?

Ja, das wollte Bertrand ausdrücklich: Er wollte, daß die Figuren zum Publikum sprechen. Er wollte diese alten Stilmittel einsetzen: Monologe, Sätze, die aus dem Off gesprochen werden ... Das waren auch die Szenen, die am schwersten zu spielen waren, denn man muß für sich allein sprechen, auch wenn andere Figuren in der Szene zugegen sind. Deshalb war für uns alle die Hochzeitsszene die schwerste Szene. Sie ist sehr kompliziert, denn fast nie spricht man ein Gegenüber an, sondern immer nur für sich selbst.

Bertrand ging es vor allen Dingen um die Theatralik und darum, daß die Figuren das Publikum ansprechen. Aber vielleicht steckt dahinter tatsächlich die Unmöglichkeit, miteinander zu sprechen.

Wie schwierig waren denn für Sie die Szenen zusammen mit Carole Bouquet? Sie erfordern ja eine ganze Palette unterschiedlicher und sich widersprechender Emotionen.

Die Szenen waren für Carole sogar noch schwieriger zu spielen als für mich. Sie hatte Skrupel, die Szenen zu spielen, denn wir kannten uns noch gar nicht richtig, und schon mußte sie mir soviele unangenehme Dinge sagen und Vorwürfe machen! Die Szenen folgen ja auch keiner normalen psychologischen Logik. Normalerweise würden die beiden Frauen versuchen, ein Arrangement zu finden, aber die Rollen von Mätresse und Ehefrau sind etwas verschoben, ihre Gefühle entsprechen nicht den üblichen Vorstellungen, die man sich von einer solchen Begegnung macht. Aber eine solch banale Szene wollten wir nicht: die Ehefrau trifft die Geliebte ihres Mannes, und am Ende prügeln sie sich.

Die beiden Frauen sind die Fragenden im Film, und Depardieu ist immer nur der Reagiernde, nicht wahr?

Er hat keine Lust, sich zu entscheiden! (lacht) Der Film handelt auch von der Feigheit, vergessen Sie das nicht! Für Gérard war diese Rolle natürlich sehr ungewohnt und auch einengend: Üblicherweise spielt er ja extrovertiertere und ausgelassenere Charaktere. Bertrand mußte ihm immer wieder sagen: „Du machst gar nichts!“ (lacht)

Depardieu und Blier haben bereits fünf Filme zusammen gedreht. Wie ist es da für einen „Neuling“, mit diesem eingespielten Team zu arbeiten?

Nun, als Außenseiter fühlte sich dabei niemand von uns. Ich denke, daß Bertrand nur mit Schauspielern arbeitet, die ihm nahestehen und denen er sich innerlich verwandt fühlt. Auch wenn er sie kaum kennt: diese Nähe muß für ihn da sein. Die schauspieler müssen in ihrem Kopf die gleiche Musik hören wie er ... Und das meine ich nicht nur im übertragenen Sinne, denn die Schubert-Musik, die man im Film hört, lief auch während der Dreharbeiten. In der Szene, in der ich zu meinem Ehemann heimkehre, der kurz zuvor Besuch von Carole Bouquet bekommen hat und nun von meiner Affäre mit Depardieu weiß, gibt es eine sehr aufwühlende Schubert-Musik. Bertrand hat die Szene genau entsprechend der Musik inszeniert und geschnitten.

Ich hatte beim Sehen des Films das Gefühl, er entferne sich immer mehr vom vermeintlichen Paradoxon der ungewöhnlichen Dreiecksgeschichte. Die Figuren räsonieren über das Mysterium der Liebe, des Verliebtseins, überhaupt.

Ja, das stimmt. Aber Colette ist eine sehr hellsichtige Person, die weiß, daß sie in einer Männerwelt lebt, in der das kostbarste Gut einer Frau ihre Schönheit ist. Zu Anfang versucht sie ja auch, sich selbst zu schützen, sich vor einer Enttäuschung zu bewahren. Sie hat Angst und weist dieses Liebesgefühl zunächst von sich. Logischerweise ändert sich dies, als klar ist, daß diese Liebe real ist, daß sie zwischen beiden existiert. Sobald sie sich des Mannes sicher sein kann, hat sie keine Probleme mehr mit ihrem Aussehen. Sie sieht sich mit den Augen des Mannes.

Aber man spürt auch, daß Colette schon lange vor der Affäre eine ungeheure Liebesbereitschaft und -fähigkeit besaß.

Ja, das glaube ich auch. Sie entspricht ja auch nicht dem Klischee der frustrierten Frau. Sie lebt nicht allein, sie hat ja einen Ehemann, der ein guter Mann ist. Das hat mir sehr gefallen an der Rolle.

Wird so das Glück und seine Kurzlebigkeit eher zum Thema des Films als die Schönheit?

Ja, die Frage der Schönheit ist nur die erste Ebene, die Oberfläche, die für die Zuschauer zunächst interessant und anziehend war. Für mich ist das Thema aber die Unmöglichkeit, zusammen zu leben. Und die Unmöglichkeit, sich zu lieben.

Der Film springt in der Chronologie der Szenen hin und her, und er wechselt von einer realistischen zu einer Traumebene. Wie ist das für eine Schauspielerin zu bewältigen?

Das ist kein Problem, vor allem, wenn man mit Bertrand arbeitet, der ein sehr guter Schauspieler-Regisseur ist. Und für meine Figur gilt ja auch, daß sie nicht unbedingt wissen muß, was ihr die Zukunft bringt. Ich finde auch, daß die Psychologie in diesem Film keine so große Rolle spielt: Es ist ein Film der Emotionen. Man taucht in die Emotionen eines bestimmten Momentes ein. Aber gleichzeitig gab es während der Dreharbeiten eine fast durchgehende Grundstimmung der Schwere, der Beklommenheit, vielleicht gar des Unwohlseins. Denn dies ist kein fröhlicher Film, es steckt eine große Traurigkeit in dieser Geschichte.

Wie sehen denn Bliers Regieanweisungen aus? Was sagte er beispielsweise über die Szene in der U-Bahn, in der Sie lächelnd an all den Männern vorbeigehen, nachdem Sie einen Nachmittag mit Depardieu verbracht haben?

Er gab gar keine Anweisungen. Alles stand im Drehbuch, und im Hintergrund lief die Musik, von der ich mich tragen lassen konnte. Es war wie eine Art Ballett. Die Figur ist in diesem Moment einfach glücklich, mehr brauchte ich über die Szene nicht zu wissen. Und die Szene zu drehen, war sehr angenehm, mit all diesen Männern, die mich anschauen! (lacht) Vielleicht ist das der einzige Moment, in dem die Fau vollständig glücklich ist.

Bertrand Blier: Zu schön für dich. Mit Caroline Bouquet, Josiane Balasko, Gérard Depardieu, Frankreich 1989, 91 Min.

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