piwik no script img

„Du kannst keinem Osseten trauen“

Zviad Gamsakhurdia, Führer der georgischen Unabhängigkeitsbewegung, ist bei Auseinandersetzungen mit Minderheiten nicht zimperlich PORTRAIT  ■ Aus Moskau Conor O'Clery

Der 51jährige Zviad Gamsakhurdia, unter dessen Führung die Unabhängigkeitsbewegung in der vergangenen Woche die Herrschaft der Kommunisten in Georgien beendet hat, sieht aus wie ein kaukasischer General. Und er ist in gewisser Weise auch ein General: Er kann nach Belieben eine „Armee“ zusammenrufen, wie im vergangenen Jahr, als fast ein Bürgerkrieg zwischen Georgiern und Osseten ausgebrochen wäre.

Gamsakhurdia und der ehemalige Dissident Merab Kostava organisierten im April 1989 die Hungerstreiks, die auf „nationale Mißstände“ aufmerksam machen sollten. 20 Menschen kamen ums Leben, als Soldaten die demonstrierenden Hungerstreikenden im Zentrum von Tbilissi angriffen. Georgien hatte seine Märtyrer. Der Angriff entzündete den Nationalismus in der kaukasischen Republik erneut. Georgien wird seit Mitte des 19. Jahrhunderts von Moskau regiert — abgesehen von einer kurzen Zeit der Unabhängigkeit nach der Oktoberrevolution 1917, die mit dem Einmarsch der Roten Armee 1921 jedoch endete.

Gamsakhurdia wurde 1954 und 1957 zu kurzen Gefängnisstrafen wegen „nationalistischer studentischer Umtriebe“ verurteilt. Als Professor für amerikanische Literatur an der Universität Tbilissi protestierte er wieder gegen Korruption und die Zerstörung georgischer Gedenkstätten. 1972 beschwerte er sich telefonisch beim damaligen georgischen Innenminister Eduard Shevardnadse, dem heutigen sowjetischen Außenminister, über den Diebstahl religiöser Kunstgegenstände aus georgischen Kirchen. Eine Spur führte damals zur Frau des georgischen Parteichefs. Anklage wurde jedoch nie erhoben.

Drei Jahre später gründeten Gamsakhurdia und Kostava eine Menschenrechtsgruppe und übermittelten Berichte über Folter in georgischen Gefängnissen an Andrej Sacharow und andere Dissidenten in Moskau. Die beiden Georgier wurden im Mai 1978 wegen „antisowjetischer Aktivitäten“ angeklagt. Gamsakhurdia widerrief und verleugnete seinen Einsatz für Menschenrechte. In Sacharows Memoiren heißt es: „Gamsakhurdia erklärte während des Prozesses und später auch im Fernsehen, daß er seine Äußerungen und die Unterredungen mit ausländischen Diplomaten bedauere. Dafür sollte man ihn nicht verurteilen. Menschliche Stärke hat ihre Grenzen.“ Um so größer ist Sacharows Bewunderung für Kostava, der nach Gamsakhurdias Kapitulation alleingelasen war und sich trotzdem weigerte zu widerrufen. Gamsakhurdias Umfallen war ein Coup für den Kreml. Dennoch erhielt er eine Gefängnisstrafe, wurde jedoch 1979 begnadigt.

Als Machtfigur in der georgischen Politik tauchte er erst vor drei Jahren wieder auf, als ethnische Konflikte eine Rolle im Unabhängigkeitskampf zu spielen begannen. Nach dem Massaker von Tbilissi wurde er zusammen mit Kostava erneut verhaftet. Die Haft trug dazu bei, den dunklen Fleck auf seiner nationalistischen Weste zu tilgen. Nach 40 Tagen wurden beide auf öffentlichen Druck freigelassen. Gamsakhurdia durfte Tbilissi nicht verlassen, doch als der tschechoslowakische Präsident Vaclav Havel ihn während seines Staatsbesuchs im vergangenen Mai ausdrücklich nach Moskau einlud, wurde die Verbannung aufgehoben.

Gamskhurdia wird von den 100.000 Osseten gefürchtet, seitdem er im letzten Jahr eine Armee aufmarschieren ließ, um die Unabhängigkeit Ossetiens von Georgien zu verhindern. Er behauptet, daß die Georgier von Osseten diskriminiert würden und ihr Streben nach einer eigenen Regierung in Moskaus Hände spiele. Kontakt mit der ossetischen Führung hat er nicht: „Du kannst keinem Osseten trauen.“

Bei der Prager Konferenz sowjetischer Dissidenten im Sommer wurde Gamsakhurdia wegen seiner Einstellung gegenüber Minderheiten scharf kritisiert. Die Resolution wurde in der Zeitung von Georgy Chanturia, dem Chef der rivalisierenden Nationaldemokratischen Partei in Georgien, veröffentlicht. Kurz darauf wurde das Büro der Zeitung durchwühlt und Chanturia auf offener Straße in den Arm geschossen. Aufgrund der Rivalität der nationalistischen Parteien fürchten viele Georgier Zustände wie im Libanon. Im vergangenen Jahr wurde eine Granate gegen Gamsakhurdias Haus geschleudert, doch sie explodierte nicht. Seitdem bewachen bewaffnete Bodyguards das mit Metallzäunen und Gegensprechanlage gesicherte Haus.

Gamsakhurdia ist ein nationales Symbol für die Georgier geworden. Er hat durchaus die Macht, Fraktionskämpfe zu überwinden und die Unabhängigkeit herbeizuführen. So gelang es ihm, die Wahlen aufzuschieben und eine Koalition der sieben nationalistischen Parteien unter seiner Führung auszuhandeln. Seinen Wahlkampf führte er vom Auto aus — unter strengen Sicherheitsvorkehrungen.

Kostava sagte, nachdem er aus dem Gefängnis entlassen worden war: „Ich bin sicher, daß meine Generation noch die Unabhängigkeit erringen wird.“ Kostava erlebte Gamsakhurdias Triumph nicht mehr: Er kam bei einem Autounfall am 13. Oktober letzten Jahres, einem Freitag, im Alter von 51 Jahren ums Leben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen