: Der freie Fall der ostdeutschen Wirtschaft
■ Der Haushaltsausschuß des Bundestages hörte Experten zur Wirtschaftslage in den neuen Bundesländern
Bonn (taz) — Ein überwiegend düsteres Bild von der wirtschaftlichen Lage in den ostdeutschen Ländern malten die Experten gestern bei einer Anhörung des Haushaltsausschusses im Bundestag. „Die Wirtschaft der ehemaligen DDR befindet sich zur Zeit im freien Fall“, verkündete ein Vertreter des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung. Die schlechte Lage in Ostdeutschland habe auch Auswirkungen auf die gesamtdeutsche Wirtschaft. Sein Kollege vom Institut für Weltwirtschaft ergänzte: „Nur bei geringen Kosten haben die Betriebe eine Chance zu überleben.“ In diesem Punkt waren sich die Forscher mit den Arbeitgeberverbänden einig: Auf keinen Fall sollten die Löhne in der ehemaligen DDR weiter angehoben werden. Sonst, so ihre Mahnung, seien Existenzgründungen nicht mehr möglich.
Sogar der Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes bezeichnete es als „berechtigte Sorge“, daß „die Löhne den Kontakt zur Produktivität verlieren.“ Er zitierte IG- Metall-Chef Franz Steinkühler: „Die tarifvertragliche Entwicklung muß dem Machbaren Rechnung tragen.“ Dennoch, so der DGB-Vertreter könne es nicht mehr lange so bleiben, daß „zwei Polizisten in einem Streifenwagen sitzen, von denen der eine 3.500 Mark verdient und der andere nur 1.200 Mark.“ Im öffentlichen Dienst könnten sich die Löhne schneller anpassen als in der freien Wirtschaft. Auf keinen Fall jedoch sei es falsch, im Westen weiter Lohnerhöhungen zu fordern, denn „die werden nicht aus der gleichen Kasse bezahlt wie die im Osten.“
Der Präsident des Arbeitslosenverbandes Deutschlands sah die Lage in der ehemaligen DDR besonders pessimistisch: Auch im kommenden Jahr werde die wirtschaftliche Talfahrt nicht aufzuhalten sein. Kurzarbeiter würden dann in die Arbeitslosigkeit entlassen, ebenso viele Mitarbeiter aus den Verwaltungen. Er rechne mit 3 Mio. Arbeitslosen.
Bundesfinanzminister Theo Waigel versprach, die Ergebnisse der Anhörung in seinem Haushalt für das kommende Jahr zu berücksichtigen. Das Expertenhearing des Haushaltsausschusses dauerte nach Redaktionschluß noch an. (Morgen ausführlicher Bericht auf der Wirtschaftsseite.) Tina Stadlmayer
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