: Stichwort Kronzeugenregelung
■ Der im Juni 1989 eingeführte Straferlaß wurde bisher nur einmal gewährt
Ein Kronzeuge ist, wer im Zusammenhang mit Straftaten nach Paragraph 129a (terroristische Vereinigung) den Strafverfolgungsbehörden sein Wissen offenbart und damit entweder die „Begehung“ einer Tat „verhindert“ oder zur Aufklärung einer solchen „über seinen eigenen Tatbeitrag hinaus“ fördert. Wer „zur Ergreifung eines Täters“ beiträgt, kann auch in den Genuß eines Straferlasses oder einer milderen Strafe kommen. Wird dem Kronzeugen selbst aber Mord oder Totschlag vorgeworfen, kommt Straferlaß nicht in Frage. Die Strafmilderung endet dann bei einer gesetzlichen Mindeststrafe von drei Jahren.
Die heftig umstrittene Kronzeugenregelung wurde im Juni 1989 verabschiedet. Bisher kam sie nur einmal zum Zuge: Am 26. März verurteilte die 27. Strafkammer des Berliner Landesgerichtes den früheren Funktionär der türkischen Arbeiterpartei PKK, Ali Cetiner, wegen Mordes an einem Parteiabtrünnigen zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren. Cetiner erhielt den Kronzeugenrabatt, weil er umfassend über die PKK ausgepackt hatte und damit der Bundesanwaltschaft zum Erlaß 16 weiterer Haftbefehle gegen PKK-Angehörige verholfen hat.
Dem Kronzeugengesetz war ein jahrelanges Tauziehen in der Regierungskoalition vorangegangen. Während Bürgerrechtsgruppen und Oppositionsparteien die Regelung strikt ablehnten, beharkten sich FDP und Union vor allem in der Frage, ob geständige Mörder straffrei ausgehen dürften oder nicht. Der frühere Innenminister Friedrich Zimmermann (CSU) erhoffte sich, mit dem vorläufig bis Ende 1992 begrenzten Gesetz aktive Mitglieder aus der RAF herausbrechen zu können — bisher ohne Erfolg. Auch die Verfassungsschützer zogen nur mühsam bei Zimmermanns Plänen mit. Sie sahen durch die gesetzliche Regelung ihr „Aussteiger-Programm“ torpediert.
Eine Anwendung der Kronzeugenstatus auf RAF- Aussteiger, die sich vor fast zehn Jahren in ein bürgerliches Leben in der DDR zurückgezogen hatten, war nicht vorgesehen. Generalbundesanwalt von Stahl gestand gestern ein: „Ich verkenne nicht, daß der Gesetzgeber die Kronzeugenregelung nicht in erster Linie für die jetzt zur Entscheidung anstehenden sogenannten Altfälle geschaffen hat.“ Aber: „Weder Wortlaut noch Sinn und Zweck dieses Gesetzes stehen der Anwendung entgegen.“ Sein Amtsvorgänger Rebmann war für die Durchsetzung des Gesetzes verantwortlich. Nach den Festnahmen in der DDR grollte er noch einmal aus dem Ruhestand, die Kronzeugenregelung gelte für sie nicht, weil sie „Aussteiger“ seien und keine Aktiven. Die Rufe des Hardliners verhallten in den Fluren der Bundesanwaltschaft aber ungehört. Wolfgang Gast
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