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rendy in die N Neunziger

Wer was auf sich hält und vor allem Kondition genug hat, tanzt ununterbrochen dem neuesten Trend entgegen: Rave, die ewig lange Party, auf der sich die Kids zu DJ-gemixtem Beat in Trance tanzen.

THOMAS WINKLER wirft einen Blick auf die kommenden Pop-Musik-Trends.

pielen wir also wieder einmal das zu Beginn jeder Dekade so beliebte Was-wird-wohl-kommen-Spielchen. In der populären Musik war das bisher nicht so schwierig, weil jeweils am Ende des vergangenen Jahrzehnts sich eine die folgenden zehn Jahre beherrschende Welle durchzusetzen begann. Was dann daraus wurde, konnte natürlich niemand vorhersagen, aber so eine ungefähre Vorstellung konnte man schon kriegen. Zumindest im Rückblick sieht das so aus.

Mit dem Punk Ende der Siebziger änderte sich das alles. Zwar nicht grundlegend, aber Punk allein sorgte dafür, daß in den beginnenden Achtzigern alles möglich wurde, Punk selbst sich aber (abgesehen von zwei, drei kurzen, heftigen Jahren) so modifizierte, daß er eigentlich nicht mehr als solcher zu erkennen war. Eine breite Massenakzeptanz erreichte er sowieso nie, sieht man mal von solchen widerlichen Würstchen und ausgedünnten Absahnern wie Billy Idol ab. Trotzdem standen die Achtziger ganz im Zeichen von Punk, wenn schon nichtS

musikalisch, dann doch zumindest ideologisch. Punk hatte im Gegensatz zu allen Jahrzehntwellen zuvor — hießen sie nun Rock'n'Roll, Beat oder Hippiemusik — eben gerade keine Ideologie, sondern nur das eine Ziel, jede Bevormundung konsequent zum Teufel zu schicken, vor allem ideologische, aber natürlich auch musikalische. So konnte sich in den Achtzigern ziemlich alles entwickeln, und das tat es dann auch. New Wave, Elektronik-Pop, Metal in all seinen aberwitzigsten Ausformungen, die Entwicklung von Punk hin zum Hardcore, verbunden mit dem Aufkommen solcher Auswüchse wie „straight edge“, und sogar ein solch typisch schwarzes Ding wie HipHop wären ohne die Punk-Revolution nicht denkbar gewesen. Daß die altehrwürdigen Punks teilweise selber inzwischen zu den „boring old farts“ geworden waren, die sie einst bekämpften, tut da nichts zur Sache, denn die neu gewonnene Freiheit wurde von allen weidlich genutzt.

Man darf zu dieser überwältigenden Freiheit auch Postmoderne sagen, aber wir wollen den inflationären Gebrauch dieses Wortes im gutbürgerlichen Feuilleton nicht vorantreiben. Genau dieser Umstand sorgt aber zu Beginn der Neunziger für eine gewisse Ratlosigkeit. Alles kann passieren, und das einzige, das man mit einiger Gewißheit sagen kann, ist, daß das kommende Jahrzehnt wohl im Zeichen des Dancefloors stehen wird. Das ist aber leider nicht so einfach, wie es sich anhört. Einerseits wird heutzutage so ziemlich alles aufgesplittert bis zum Gehtnichtmehr. Andererseits sind Fusionen zwischen Stilrichtungen möglich geworden, die sich vorher diametral gegenüberstanden.

Getanzt wurde schon immer, aber Dancefloor konnte man eigentlich erst die Diskobewegung in den Siebzigern nennen (kurze Schweigeminute für John Travolta!), die so ungestüm wieder den Bach runterging, wie sie aufgetaucht war. Punk wischte einfach alles weg, und so degenerierte die Diskothek zum drögen Abschleppschuppen, der mit Party-Machen so viel zu tun hatte, wie eine Banane mit einem Synthesizer. Das sollte sich Mitte der Achtziger radikal ändern. Der Synthie-Pop, entstanden im Underground mit Bands wie Human League, Depeche Mode oder Heaven 17, stürmte die Charts, und die Welt war nicht mehr dieselbe. Plötzlich war der Beat wieder wichtig, wenn auch die Song- Orientierung noch lange nicht aufgegeben wurde. In den USA entwickelte sich parallel aus den steinzeitlichen Anfängen des Rap die New School des HipHop, kam direkt von der Straße und verkaufte doch massenhaft Platten. In England begann die große Zeit der Allnighter: Ein paar Verrückte legten komische Platten aus längst vergessenen Zeiten auf, „rare groove“ wollte plötzlich jeder hören, auch wenn niemand so genau wußte, was das eigentlich war. Die wesentliche Veränderung war vor allem diese: Konzerte waren öde, weil jeder nach siebzig Minuten wieder seines Weges ging. Ein Allnighter dauerte, wie der Name schon sagt, die ganze Nacht lang, und es wurde vor allem getanzt.

A

uf dieser Grundlage entwickelten sich Acid und House. Allein entscheidend war hier nur noch der Beat, hineingesampelt wurden Stücke aus alten Platten, Riffs oder Gesangsfetzen. Das Zeitalter des DJs hatte begonnen. Ab jetzt war der Diskjockey nicht mehr der dumpfe Plattenaufleger, der sich mit den Song-Wünschen von Diskothekenbesuchern herumschlagen mußte, sondern selbst Musiker. Seine Instrumente waren mehrere Plattenspieler oder das Mischpult und natürlich vor allem der Sampler, mit dem einfach jedes jemals aufgenommene Geräusch musikalisch wiederverwertet werden kann.

Der neu entstandene Dancefloor war vor allem undogmatisch. Auf der einen Seite konnten weiße Bengelchen wie die Beastie Boys mit Heavy-Metal-Riffs über HipHop-Beat erfolgreich sein, auf der anderen Seite entstand ein Begriff wie Acid- Jazz und bedeutete nicht mehr als Quäkorgel über monotonem Dauerbeat. Die Musik auf einer House- oder Acid-Party war zwar monoton, aber im Fluß. Der Beat hielt über Stunden an, modifizierte leicht, darüber wurde gesampelt oder gemixt, die Tänzer benutzten ihre Trillerpfeifen ausgiebig. Und einen ganzen Sommer lang gellte ekstatisch der Ruf: „Aciiid!“

Daß Acid- und House-Tracks auch auf drei Minuten komprimiert funktionierten, zeigten die folgenden Monate. Bomb The Bass oder andere engagierten eine/n Sänger/in, bastelten irgendwie einen Song über die bewährten Beat-Tracks, und fertig war der Hit. Inzwischen sind gut die Hälfte aller Titel in den Charts eindeutig Dance-Stücke, ob nun HipHop, House oder Acid. Die Grenzen haben sich sowieso aufgelöst. Dazu werden olle Diskokamellen aus den Siebzigern ausgegraben und aufgemotzt. Jüngstes Beispiel: Ice T mit Curtis Mayfield und dessen Superfly.

In England begann in den letzten beiden Jahren eine Entwicklung, deren Höhepunkt oder gar Ende noch nicht abzusehen ist. Das Zauberwort heißt Rave. Ein Rave ist erst einmal eine ewig lange Party, bei der alle Beteiligten möglichst viel Ecstasy schlucken, um sich dann durch Drogen und Tanz in einen tranceartigen Zustand zu versetzen. Dazu wird ein Lagerhaus oder ein Klub gemietet, ein paar DJs mixen live, Bands treten auf, und die Leute tanzen, tanzen und tanzen. Ob das nun besser oder schlechter oder dämlicher ist, als vier schwitzige Männer zu beobachten, die ihre Instrumente bearbeiten, soll dahingestellt bleiben. Tatsache bleibt, daß die britischen Kids ihren Spaß dabei haben.

Trotzdem kann das Phänomen Rave noch nicht ganz auf die Institution Band verzichten. Die Happy Mondays, Stone Roses, Soup Dragons oder Primal Scream, allesamt Bands und Vertreter des typischen englischen Gitarrengeschrammels in der Tradition der Smiths, lassen ihre Songs für Maxis von Star-DJs wie Paul Oakenfold oder Andy Weatherall remixen und treffen damit den Nerv der Zeit und den Geldbeutel der Kids. Wie effektvoll ein solcher Remix sein kann, sieht man am Erfolg von Suzanne Vegas Tom's Diner, das in der Version von DNA sämtliche Charts stürmte. Etwas, was die sterbenslangweilige Originalversion sicher nie geschafft hätte.

Trotzdem braucht niemand zu befürchten, daß es in den Neunzigern nur noch Dancefloor gibt, auch wenn das Live-Konzert seine beherrschende Stellung wieder an die Diskothek abgeben wird. Alles wird seine Berechtigung haben, dafür sorgt schon das Wörtchen Postmoderne.

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