KOMMENTAR
: Jenninger, Stoiber, Syberberg

■ Erinnerung an eine mißlungene Performance

Heute vor zwei Jahren trat der damalige Bundestagspräsident Philip Jenninger mit einer Rede zur „Reichskristallnacht“ auf. Einige Tage später trat er zurück.

Er selbst hatte sich und nicht dem Vorsitzenden des Zentralrates der deutschen Juden, Heinz Galinski, das Wort erteilt. Galinski hatte darum gebeten, sprechen zu dürfen, und er durfte nicht. Das ist erinnerungswürdig, wenn auch nicht erstaunlich — schließlich hat derselbe kürzlich eine gedenkende Präambel für das neu zu schreibenden Grundgesetz gefordert und wurde ebenfalls nicht gehört.

In derselben Woche, in der Jenninger zurücktrat (der nun als Botschafter mit erhöhtem Gehalt nach Wien geschickt wurde, wo es offenbar nicht so drauf ankommt), verwahrte der amtierende bayerische Innenminister Stoiber sich dagegen, daß die deutsche Gesellschaft „durchmischt und durchraßt“ werde. Seinen Rücktritt hat niemand verlangt. Der Unterschied, den Stoiber beachtete und Jenninger vorübergehend vergaß, ist der zwischen der symbolischen und der realpolitischen Ebene. Nur auf ersterer ist der Griff in die Kiste mit der Aufschrift: „Nazi-Vokabular! Bis auf weiteres strengstens untersagt!“ wirklich verpönt. „Untersagt“ sagt unsere Sprache, wenn gemeint ist: da ist ein Wille, aber kein Weg. Das zu Sagende hat unten zu bleiben, unter dem Gesagten. Jenninger hat Galinski untersagt, etwas zu sagen, um daran zu scheitern, daß seiner Rede etwas Unsägliches unterlief. In dieser Hinsicht ist er kein Einzelfall. Auch Hans Jürgen Syberberg wollte mit seinem Werk das „Faszinosum Hitler“ erklären und ist ihm kürzlich erlegen.

Die unklar verlegene Hoffnung der meisten von Jenningers Parlamentskollegen, er werde sich dieses Tanzes auf dem Eis ohne Einbrüche entledigen — man ist seit Lübke ja einiges gewöhnt — wurde enttäuscht. Unsere politische Sprache — also die temperamentlose, subjektlose Phraseologie des „Apparates“ — hat ihren höchsten Gebrauchswert bei solchen symbolischen Veranstaltungen, die es hinter sich zu bringen gilt. Aparterweise ist Jenninger am Gelingen gescheitert: ein erloschenes Subjekt, ein hilfloser Zombie schob sich buchhalterisch durch seinen Text. Peinlich war nur, daß man es sah und hörte. Und plötzlich erinnerte man sich daran, wie es ist, wenn ein durchschnittlicher Politiker über Ermordete spricht. Ein Verwaltungsakt. Elke Schmitter