Vierzig Jahre nix gewußt

■ 'Sexklusiv‘ und 'Super-Illu‘ — die neuen Bildermacher des Ostens

Die ehemalige Grenze der beiden ehemaligen Staaten trennt nicht nur Löhne und Mietpreise, Aura oder Luft, sondern auch die schriftlichen (und mündlichen) Äußerungen und die sie begleitenden Bilder. Viele der ehemaligen DDR-Zeitungen und -Zeitschriften sind geblieben. Einige versuchen, allein mit alter Belegschaft und altem Layout ihrem Ende entgegenzudämmern, andere wollen in Marktlücken überwintern, wieder andere haben West-Partner gefunden, noch andere sind, wie die 'Super-Illu‘, in westlicher Koproduktion mit gewendeten Ostschreibern für den Osten neu entstanden.

Über den sexuellen Aspekt der Vereinigung wird seit einem Jahr bis zum Erbrechen berichtet. Die Vereinigung als Metapher wurde nicht nur populärsoziologisch, -philosophisch (oder so) gewendet, um nun naßforsch erotische Freuden oder — bei Linken und beißwütigen Satirikern — Vergewaltigung zu bedeuten, es zeigte sich anderes. Erschreckende Unwissenheiten taten sich auf.

Schon etwas angeduselt erzählte z.B. ein Mann, Mitte 40, daß man vierzig Jahre lang nicht mehr vom Sex gewußt hätte, als das, was die Bienen so machten. Jetzt hätte man aber die »Pornoheftchen«, die es in Halle für 4,50 DM, geöffnet, am Kiosk gibt.

Unwissend, so läßt sich folgern, ist nicht der/diejenige, die nicht weiß, wie's geht, sondern der, der nichts weiß über die Verlängerung von Sex in Schrift und Bild. Sex ist Schrift und Bild.

Diese Unwissenheit zu beheben, ist das gemeinsame Anliegen aller Zeitschriften vom intellektuellen 'Sondeur‘ über die populäre 'Super- Illu‘ bis zur ersten Sexzeitschrift auf dem Boden der ehemaligen DDR 'Sexclusiv‘.

'Sexclusiv‘, ein 52seitiges Hochglanzmagazin, entstand im Juni in Zusammenhang mit der »Deutschen Sexliga e.V.«, die sich inzwischen, so Redaktionsleiter Manfred Gütte, eigentlich aufgelöst hat. Im Gegensatz zu 'Playboy‘, 'Penthouse‘, 'Superbusen‘ versteht man sich als Zeitung für »Partnererotik«, die in »angenehmen Niveau« widergespiegelt werden soll. Konkret heißt das vermutlich, daß man, obgleich abwaschbar, gegen das Onanieren ist, und stattdessen Lesben-, Homo- oder Heteropaare anregen und in ihrer »Paarbeziehung« stärken will. Viele der LeserInnen zwischen 20 und 61 sind trotzdem allein oder fühlen sich als Paar nicht komplett. Auf dem »Anzeigenmarkt« suchen sie »tabulose« Beziehungen, sind allerdings in ihren Vorstellungen nicht halb so konkret, wie die InserentInnen in den Stadtmagazinen. Das Publikum von 'Sexclusiv‘ setzt sich v.a. aus ehemaligen SympathisantInnen der Sexliga zusammen. Die Leser nehmen regen Anteil am Blatt: Täglich, so berichtet Gütte stolz, kämen fünf bis acht Leserbriefe. Ursprünglich beschränkte sich der Wirkungsgrad der Zeitschrift auf das Gebiet der Ehemaligen, doch seit der Vereinigung, und seitdem in der 'Hör-Zu‘ »eine Anzeige drin war« hat sich die Leserzusammensetzung »schlagartig geändert«. Viele Bürger der ehemaligen BRD hätten sich das Magazin bestellt. Inzwischen hat man eine Auflage von 60-80.000. Die Nacktbilder in 'Sexclusiv‘ sind ein wenig deprimierend-künstlich fleischfarben. Die Unterwäsche ist synthetisch. Inwieweit »das Ganze« Zukunft hat, weiß der Redaktionsleiter nicht so recht.

Wie in der Schule müssen ehemalige DDR-Bürger das Sex-ABC pauken. In der 'Super-Illu‘, ist man inzwischen bei der zweiten Folge des »Erotik-Lexikons« angelangt. Das Joint-venture-Produkt zweier Westbetriebe: 'Burda‘ und 'Gong‘, hat eine verkaufte Auflage von etwa 680.000, sein Verbreitungsgrad dürfte jedoch um einiges höher liegen, denn die 'Super-Illu‘ ist Familienzeitung und erreicht pro Ausgabe — wie die taz — etwa 4 bis 5 Leser.

»Ganz schön frech«, wie es auch in der Werbung für die 'Super-Illu‘ heißt, beschäftigt sich etwa ein Drittel der Zeitung mit der »schönsten Nebensache der Welt«. »Brauchen Männer wirklich Pornos?« wird gefragt und nicht nur Männer, läßt die 'Super-Illu‘ antworten: »Wir mögen's alle beide«, behaupten Berliner Pärchen. »Wenn Pornographie ästhetisch ist, ist nichts einzuwenden«, verkündet Ibrahim Böhme.

Neben Berichten über Honeckers Lieblingsporno, Antworten der Sexualberaterin (Lieblingsfragen: Ich komme zu früh oder ich krieg keinen mehr hoch, was ist los?) gibt es jedoch zu wenig nackte Männer, meinen zumindest viele LeserInnen: »Ich habe sieben nackte Frauen und nur einen halbnackten Mann gezählt«, beschwert sich beispielsweise die Leserin Viola Pfannenmüller. Die Halbherzige Nacktheit in einem Bericht über Männerstrip, bemäkelt Antje Langner, Neustrelitz: »Dieser Thomas Szesny ist ja die Krönung. Ein Feigling, der für teures Geld nicht mal volle Leistung bringt. Entweder er läßt seinen Zylinder fallen, oder er versucht's mit ehrlicher Arbeit.«

Ansonsten versucht man in der auflagenstärksten und einflußreichsten Illustrierten auf dem Gebiet der Ehemaligen, Vergangenheit zu erledigen und positiv in die Zukunft zu sehen. »Ganz schön frech« fühlen sich die RedakteurInnen und SchreiberInnen, die, wie Mark Brandenburg, früher bei der 'Brandenburgischen Zeitung‘ gearbeitet hatten und dann bei der taz einige Artikel geschrieben hatten oder wie Martina Krüger, die früher beim 'Neuen Deutschland‘ für Unterhaltungskunst zuständig war und nun bei der 'Super-Illu‘ ein Gehalt von 4.000 DM bezieht. Schadlos hält man sich an »Hexe Honecker« und andere ehemals Verantwortliche, beschwört den Mythos einer immer noch allgewaltigen Stasi, veröffentlicht ganzseitige Anzeigen für Bücher der »Wirtschafts- und Verbands PR GmbH«, in denen es um »rote SED- KZ's« geht, oder um »sogenannte Asylanten«, die als mordende Ungeheuer deutsche Polizisten schlachten, in denen Sätze stehen wie: »Das Wort >Zigeuner< ist verpönt. >Sinti< heißt es nun oder >Roma<«, die im Folgenden diffamiert werden.

In den Büchern des WPR-Verlags wird behauptet, daß der KGB den Führerstellvertreter Rudolf Hess ermordet hätte. Ein paar Seiten später findet man den interessanten Verdacht, daß Ehrenwortmann Barschel wahrscheinlich von der Stasi gemeuchelt worden wäre. Als Sündenböcke dienen auch russische Soldaten: Ihre »Kaserne ist ein KZ«. Leser fordern, wie beabsichtigt: »Raus mit diesen Russen.« In schwerer Stunde werden Westpolitiker als Retter gefeiert. Kurt Biedenkopf wird als »Kraftwerk auf zwei Beinen« beschrieben. Daß seine Frau, mein »herrliches Weib«, wie er sagt, immer noch unter Rheumaproblemen leidet, wird von der Redaktion und den Lesern für äußerst informativ gehalten. »Wie er, müßten mehr aus dem Westen kommen.« Ein Satz von Biedenkopf beschreibt ziemlich genau die Stimmung im Land der 'Super-Illu‘ — Leser: »Die Menschen hier brauchen jemanden, der sie schützt vor der Übermacht des Wissens und der Kraft von drüben«, meint der, der von drüben kam. Statt an Apparate, will man die Verantwortung für das eigene Leben an starke Männer delegieren.

Die 'Super-Illu‘, so sieht es jedenfalls die Kulturstadträtin von Friedrichshain, habe so viel Erfolg, weil sie über ein »phantastisches Layout« verfüge. Man könne dem nur etwas entgegensetzen, wenn man sich genauso öffentlichkeitswirksam präsentiere. Detlef Kuhlbrodt