: In Polen ist die Reform der Genossenschaften mißlungen
Belegschaften wollen ihre aufgeblähte Verwaltung nicht mehr finanzieren, doch die Bürokratie kennt alle Tricks/ Monopole gründen sich selbst neu ■ Aus Warschau Klaus Bachmann
Am 9. November gaben die Angestellten der Konditoreigenossenschaft in Piaseczno bei Warschau auf. Die Leitung der Genossenschaft hatte der protestierenden Belegschaft nach und nach Strom, Wasser und Telefon abgestellt, um sie zum Nachgeben zu bringen. Ein weiterer Versuch, eine polnische Genossenschaft zu reformieren, ist damit gescheitert.
Ausgebrochen war der Konflikt, nachdem Anfang des Jahres ein neues Genossenschaftsgesetz in Kraft getreten war. Erreicht werden sollte damit die Auflösung der monopolistischen Genossenschaftsstrukturen: Die Genossenschaften waren zu Regional- und Zentralstrukturen zusammengefaßt, deren Bürokratie jede marktwirtschaftliche Regung erstickte. Nun bekamen die Genossenschafter erstmals die Möglichkeit, sich zu wehren: Selbst eine Minderheit im Verwaltungsrat konnte nun die Aufteilung der Genossenschaft verfügen, bis zu einem festgesetzten Termin mußten demokratische Neuwahlen durchgeführt werden, andernfalls wurde ein staatlicher Liquidator bestellt. Die Zwangsmitgliedschaft in den Regional- und Landeszentralen wurde aufgehoben. Künftig sollten sich die Genossenschaften gegenseitig Konkurrenz machen.
Sie taten es, das steht nun nach einem Jahr fest, nur äußerst selten. Da viele Mitglieder und Zulieferer, aber auch die KundInnen der Genossenschaften aus Unwissen oder Überdruß von ihren Rechten als GenossenschafterInnen keinen Gebrauch machten, blieben die Angestellten der Genossenschaftsbürokratie bei den Neuwahlen oft unter sich — und wählten prompt die alte Führung wieder. Die hingegen schloß sich dann mit anderen, ebenfalls an Konkurrenz wenig interessierten Genossenschaften zu Handelsgesellschaften oder sogenannten „Genossenschaften juristischer Personen“ erneut zusammen. Dem Gesetz war Genüge getan: Die bisherigen monpolistischen Zentralen waren einfach durch neue ersetzt worden. Mit einem Unterschied allerdings: Die neuen fielen nicht unter das Reformgesetz.
Manche Genossenschaftsdirektoren gingen gleich in die Vollen. Als der Oberste Rechnungshof auf Antrag des Verwaltungsrats eine Kontrolle in der „Spolem“-Genossenschaft des Warschauer Stadtteils Praga-Süd durchführte, gaben die Prüfer ihre Akten gleich an die Staatsanwaltschaft weiter. Der Bericht, der an die Presse gelangte, wies nach, daß die Führung des Lebensmittelkaufhauses sich nicht nur teure und sinnlose Auslandsreisen, sondern auch Veruntreuungen hatte zuschulden kommen lassen: Gewinnbringende Vermögensteile der Genossenschaft waren an Verwandte und Freunde zu symbolischen Preisen abgestoßen worden, für harte Devisen wurden Geräte geordert, die nie benutzt wurden, importierter Schmuck im Wert von 23.000 DM wurde auf Firmenkosten angeschafft und verschwand anschließend spurlos.
Anders als die Genossenschafter von „Spolem“ in Praga, die ihren Chef, der 1986 auf Parteibefehl „gewählt“ worden war, in die Wüste schickten, konnten sich ihre Kollegen in Piaseczno nicht durchsetzen: Auf ihren Antrag auf Aufteilung der Genossenschaft antwortete die Leitung mit der fristlosen Kündigung. Ein typischer Fall, wie Jerzy Indra, Experte des Finanzministeriums erklärt: „Das geht vor Gericht, das sich dann erst langwierig mit der Frage auseinandersetzen muß, ob die Antragsteller noch Mitglieder der Genossenschaft sind. Die ganze Sache zieht sich dann Monate hin.“ In Piaseczno nutzte die Genossenschaftsleitung diese Zeit, um die Konditorei ganz einfach „aus ökonomischen Gründen“ aufzulösen — der Laden mache Verluste. „Stimmt“, erklärten die protestierenden Angestellten, „weil wir den ganzen bürokratischen Überbau finanzieren müssen.“ Die Forderung nach getrennter Kostenrechnung sei der Anlaß für die Kündigung gewesen.
Rechtzeitig vor dem Reformgesetz haben darüber hinaus viele Genossenschaften Teile ihres Vermögens weiterveräußert, vermietet oder verpachtet. Indra: „Niemand hat sich darum gekümmert, die eigentumsrechtlichen Fragen zu klären.“ Selbst die Liquidatoren sind oft überfordert, wenn es darum geht, festzustellen, welche Vermögensteile der Gesellschaft, welche Dritten gehören und welche verpachtet wurden.
„Die Bürokratiekappe hat sich als schwer absetzbar erwiesen“, bescheinigt die Warschauer Tageszeitung 'Zycie Warszawy‘ den Genossenschaftsdirektoren. Die nämlich fürchten zumeist, daß ihre einzelnen Betriebe sich selbständig machen. Folge: „Die Verwaltung bliebe am Ende übrig, und niemand würde sie mehr bezahlen“, findet Anna Gasioowska von der 'Gazeta Wyborcza‘, die die Affäre in Piaseczno ans Licht brachte. „Die Genossenschaftsreform hat bisher keinerlei ökonomisch positive Folgen gezeitigt“, urteilte eine Fachzeitschrift.
Inzwischen gibt es daher bereits zwei Initiativen für ein neues Genossenschaftsrecht: von Seiten des Senats und von Seiten des Finanzministeriums. Letzteres will die Genossenschaften der Privatwirtschaft gleichstellen. Die dubiosen „Genossenschaften juristischer Personen“ sollen durch normale Kapitalgesellschaften ersetzt werden. Wieslaw Chrzanowski, Senatsexperte für Genossenschaftsfragen, lehnt diese Konzeption ab: „Eine Kapitalgesellschaft ist in erster Linie auf die Erzielung von Gewinn aus, eine Genossenschaft vor allem auf die Befriedigung bestimmter Bedürfnisse ihrer Mitglieder. Das muß nicht Gewinn sein, das kann der gemeinsame Bau eines Hauses, der gesicherte Absatz z.B. für Bauern sein, der billigere Einkauf oder der Erhalt des Arbeitsplatzes, etwa in den Behindertenwerkstätten.“ Daher müsse dann das Vermögen einer Genossenschaft unteilbar sein, anders als bei Kapitalgesellschaften.
Darüber ist der Streit noch nicht ausgestanden. Für den Januar jedenfalls wird mit einer drastischen Novellierung des Genossenschaftsgesetzes gerechnet. Es soll diesmal nicht so leicht zu umgehen sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen