Offener Brief

■ an den Regierenden Bürgermeister Walter Momper oder den Sachberarbeiter Besetzungen DOKUMRENTATION

Sehr geehrter Herr Momper!

Kurz nach ihrem Amtsantritt haben wir Sie, auf Ihren Wunsch hin, zu einem ausführlichen Gespräch empfangen. In diesen Tagen, in denen Sie nun endgültig Ihr wahres Gesicht offenbart haben, beschämt uns unser damaliger offenherziger, unvoreingenommener Akt zutiefst.

Nicht allein, daß Sie zwischenzeitlich herzlich wenig Neues vollbracht haben; Sie mußten uns auch noch in diesen Tagen die Demonstration liefern, daß Sie und Ihr Heerführer Pätzold ganz stinknormale rechte Machtpolitiker sind. Sie haben demonstrieren müssen:

—daß in jedem SPD-Politiker ein CDU-Politiker steckt;

—daß man als Marionette von 'Bild‘, 'BZ‘ und Bonn im Wahlkampf besser fährt als ein selbständig denkender Politiker;

—daß Ihnen für den Gewinn oder Verlust des einen oder anderen Prozents Wählerstimmen jedes Mittel recht ist;

—daß für Sie der notwendige zeitliche Spielraum zur Entwicklung von friedlichen Lösungen und vertraglichen Modellen nicht so wichtig ist, wie die gezielte staatliche Unterwerfung und Demütigung als Wahlkampf-Attraktion;

—daß Ihre »Berliner Linie« bei gezieltem nötigendem Verhalten gegenüber Wohnungsbaugesellschaften allzeit anwendbar ist...

—daß Sie zur Durchsetzung dieser primitiven Verkehrs-Formen auch jederzeit bereit sind, in Feldherren- Manier andernorts frei gewählte Bezirkspolitiker zu überrollen und auszuschalten;

—daß Ihnen dabei die Mißachtung und Züchtigung Ihres Koalitionspartners völlig normal und legitim ist;

—daß Sie schließlich einen derartigen Mißbrauch des staatlichen Gewaltmonopols als heuchlerischen Trick blendend beherrschen, da er schnell zu ohnmächtiger Gegengewalt führt, die Sie dann wiederum militärisch und rhetorisch ganz wunderbar selbstherrlich bezwingen können...

Wir meinen, daß das, was Sie sich da geleistet haben, reichlich starker Tobak ist und möchten Ihnen dennoch die folgenden Möglichkeiten einer Wiedergutmachung empfehlen: Räumungs-Moratorium für alle besetzten Häuser und ausreichende Zeit für politische, vertragliche Lösungen. Legalisierung aller besetzten Häuser. Sofortige Freimachung von Mitteln für die Winterfestmachung. Freilassung aller Festgenommenen.

Sollten Sie sich nicht zu einem eindeutigen, korrigierenden Verhalten in dieser Richtung bewegen lassen können, bitten wir Sie recht herzlich, das Schlagwort von der »Neuen Politik« nicht mehr in den Mund zu nehmen, da es dann bei jedem denkenden Menschen ein hohes Maß an Übelkeit erzeugt.

Mit freundlichen Grüßen

Die BewoherInnen

des Kerngehäuses

Das Kerngehäuse wurde am 1.11.80 besetzt und 1983 legalisiert.