: „Man darf die Militanz auf keinen Fall höher treiben“
■ Ein Bewohner der in Ost-Berlin geräumten Häuser äußert sich über die Gewalt/ Die Frauen eröffneten die Diskussion INTERVIEW
Die taz sprach mit dem 23jährigen Besetzer Jörg aus der Mainzer Straße. Jörg ist Schüler und wohnte seit sechs Monaten bis zur Räumung am vergangenen Mittwoch in einem der 13 besetzten Häuser. Der Name wurde von der Redaktion geändert.
taz: Die letzten friedlicheren Hausbesetzer sollen ihre Koffer kurz vor der Schlacht am Montag dieser Woche gepackt haben. Haben sich die Militanten rücksichtslos durchgesetzt?
Jörg:Nein. Wir haben die Gewaltdiskussion geführt — nicht als platte Gewaltfrage, sondern als Patriarchatsdiskussion. Die Frauen haben die Grundlagen geschaffen, auf denen wir diskutieren konnten. Wichtig dafür waren auch die ständigen Angriffe der Faschisten und das Nichtreagieren der Polizei.
Wie war Eurer Verhältnis zur Gewalt?
Auf jeden Fall defensiv. Wir haben unsere Fenster vergittert, wir haben keine Waffen gelagert. Wir wollten niemanden angreifen, sondern die Häuser schützen.
Gab es Diskussionen, als die Mollis abgefüllt wurden?
Ich weiß nicht, wann Mollis abgefüllt wurden, wo das passiert ist — nur, daß sie geworfen wurden. Ich kann das nicht verurteilen.
Hättest Du es verhindern wollen?
(25 Sekunden Schweigen.) Es war Notwehr.
Bis zu dem Schritt, einen Polizisten zu erschießen, ist es nicht mehr weit. Wolltet Ihr die Militanz in dieser Schärfe?
Man darf es auf keinen Fall höher treiben — auf beiden Seiten nicht.
Gab's bei Dir den Moment, wo Du dachtest, sofort Schluß mit der Schlacht, sofort hier raus?
Ja. Das ging aber nicht — das war das Schrecklichste, was ich je erlebt habe. Über Polizeifunk kam die Meldung: Ihr habt freie Hand, macht was Ihr wollt.
Wie geht's weiter, wo wohnt Ihr?
Der Verein Mainzer Straße besteht. Es gibt Plena. Die meisten Leute sind obdachlos, wohnen zu zehnt oder zwanzigst in irgendwelchen Wohngemeinschaften.
Euer Bezirksbürgermeister Helios Mendiburu (SPD) befürchtet, daß die militanten Besetzer in anderen besetzten Häusern unterkommen, und die Bewohner dazu drängen, die Vertragsverhandlungen abzubrechen.
Auf keinen Fall.
Werden die Bewohner der 13 geräumten Häuser weiter Kontakt und weiter eine gemeinsame Perspektive haben?
Was wir in der Mainzer Straße aufegebaut haben, haben nur sehr wenige besetzte Häuser geschafft. Die Volksküche, der Infoladen, der Kinderspielplatz, die einzige Schwulenkneipe im Kiez. Solche Strukturen waren einfach unglaublich. Plutonia Plarre/Dirk Wildt
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen