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E.T. schlägt deutschen Michel

■ Die gesamtdeutsche Nationalmannschaft kann noch nicht an die Weltklasse anschließen/ UdSSR spielt „Handball von einem anderen Stern“

Dortmund (taz) — Mit einem souverän-weltmännischen „Guten Abend, Freunde“ begrüßte der sowjetische Handballtrainer Anatoli Jewtuschenko am Sonntag abend die zahlreichen Medienvertreter im Pressesaal der Dortmunder Westfalenhalle. Der „Handball-Professor“, wie Jewtuschenko in Handballerkreisen ehrfürchtig genannt wird, war also sichtlich guter Dinge. Solch Frohsinn resultierte einzig aus der Tatsache, daß sein Team am Schlußtag des viertägigen Handballturniers namens „Nation Cup“ die alten Zustände wieder herstellen konnte.

Bereits nach der überraschenden WM-Niederlage gegen Schweden in diesem Jahr fragten sich die Experten ernsthaft, wie es um den Handball in der UdSSR bestellt ist. Bis 1989 galten die Sowjets schlicht als unschlagbar. Der deutsche Bundestrainer Horst Bredemeier bezeichnete gar deren Wurfkünste als „Handball von einem anderen Stern“.

Doch wider aller Handballastrologie unterlagen die Außerirdischen aus der UdSSR am Mittwoch in Kiel völlig überraschend mit 18:19. Gegner in diesem Freundschaftsspiel war eine neuformierte, also gesamtdeutsche Auswahl. Die konnte danach eine solch verrückte und verkehrte Handballwelt rational überhaupt nicht fassen und schwelgte fortan im siebten Handballhimmel. Woraufhin sich der Spielwitz von Kiel beim anschließenden „Nation Cup“ flugs verflüchtigte.

Die deutliche Niederlage gegen Schweden am Freitag in Frankfurt (20:26) brachte bereits das Team um Coach Bredemeier und seinen Ostassistenten Klaus Langhoff auf den harten Boden der Handballtatsachen zurück. Selbst der Erfolg gegen die derzeit nicht mehr zur Weltspitze zählenden Rekordmeister aus Rumänien (23:17) in Bonn vermochte eines nicht zu kaschieren: Auch der gesamtdeutsche Handball wird in absehbarer Zeit nicht die Weltspitze erklimmen können.

Daß er dennoch im Konzert der Großen ein Wörtchen mitreden wird, verdankt er ohnehin nur den Erfolgen der Ex-DDR-Spieler, die sich sowohl für die Olympiade 1992 als auch für die A-WM 1993 in Schweden qualifizieren konnten. Damit hat der Handballverband der DDR seine Schuldigkeit getan. Die Vereinnahmungswende in der deutschen Handballfrage steht Sylvester an. Dann wird der Deutsche Handball-Verband (Ost) dem Deutschen Handball-Bund (West) angegliedert und hat nichts mehr zu melden.

Sektkorken knallen im Handball zukünftig weit östlicher, bei Anatoli Jewtuschenko und seinem Team. Schon nach der Niederlage gegen die Deutschen am Mittwoch in Kiel erhob der Handballprof kräftige Ranküne gegen Bredemeiers Ost-West- Truppe, so sehr nervte ihn diese Schlappe, wie er später freimütig preisgab.

Den Erfolgen gegen Schweden und Rumänien sollte am Sonntag in Dortmund die Wiedergutmachung von Kiel folgen. „Wie zu einem großen Fest“, so der Trainer, seien die russischen Spieler gegen die Gesamtdeutschen am Sonntag angetreten. Einen Sieg mit zwölf Toren Unterschied drohte Jewtuschenko seinem Sportsfreund Bredemeier an. Um das Versprechen einzulösen, wurde selbst der derzeit im Heimatverein SKA Minsk in Ungnade gefallene Megastar Alexander Tutschkin eingeflogen. Mit seinem „Dynamit in den Armen“ — anders vermögen Journalisten die versteckte Wurfgewalt im linken Arm Saschas nicht zu umschreiben — sollte der Zweimetermann den Einheitsdeutschen einmal die Grenzen aufzeigen.

Dazu genügten letztendlich ein paar spärliche Auftritte im geliehenen Trikot mit der Werbeaufschrift „Deutscher Herold“. Da Saschas Mitstreiter, nicht minder groß und kräftig an Statur, gleichfalls zu Höchstform aufliefen, folgte ein standesgemäßer 28:16-Erfolg der Sputniks über die Tiefflieger. Die Handballverhältnisse sind spätestens seit Dortmund wieder in Ordnung. Torsten Haselbauer

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