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„Mir genügt die Schallplatte“

Gespräch mit Peter Weibel, dem Direktor des Frankfurter Instituts für Neue Medien  ■ Von Manfred Riepe

taz: Herr Weibel, wie kann man sich als Student am Institut für Neue Medien bewerben?

Peter Weibel: Die normale Bewerbung läuft über das Städel. Wir haben zwischen 10 und 12 Plätze. Es gibt aber auch die Möglichkeit, Gasthörer zu sein. Wir fördern ein projektorientiertes Unterrichten. Das heißt, die Studenten kommen her und müssen fähig sein, ihr eigenes Projekt durchzuziehen. Sie müssen ein Konzept haben. Nicht technisch fähig sein, aber ein Konzept haben. Man lernt hier nicht etwa Klavierspielen — das muß der Student schon können —, sondern etwas darüber hinaus.

Können Sie ein paar Forschungsschwerpunkte und Aufgaben des Instituts benennen?

Wir fahren hier drei Schienen, die Computerschiene, die Videoschiene, die Theorieschiene. In der Computerschiene geht es darum, einerseits eigene Software zu entwickeln, bestimmte Bildmanipulationen, sogenanntes „Image-Processing“ etc., andererseits vorhandene Software zu adaptieren. Unser Ziel ist es, zu erforschen, inwieweit es möglich ist, neue Bildsprachen und Bildformen zu erzeugen.

Gleichzeitig werden hier zum Beispiel Automaten entwickelt, künstlerische Arbeitsgänge werden automatisiert. Es ist auch geplant, einen Automaten zu bauen, der Bewegungsstudien noch viel mehr schärft. Bisher sind die ganzen Roboter ja noch zielmlich zackig und eckig.

Dann haben wir die Videoschiene — auf digitaler Ebene, Vermischung von Videobildern und Computeranimation. Wir streben die hybride Vermischung von Videobildern und Computeranimation an. Denn wenn wir nur Computeranimationen machen, dauert das ja immer Monate. Wir haben z. B. jemanden, der einen Videofilm macht über die Geschichte der Logik in Zusammenhang mit der Soziologie, was ungewöhnlich ist, weil er interdisziplinär arbeitet.

Interdisziplinär, das ist ein mir wichtiges Schlagwort. Wir haben hier z. B. auch Architekten, die versuchen, „virtuelle Architektur“ zu machen, also computerunterstützte Architektur. Wir versuchen auch, interaktive Techniken zu entwickeln, bei denen Leute wirklich beteiligt sind und über das Körperliche hinaus mit einem System interagieren — also interaktive Computer- und Videoinstallationen in Echtzeit.

Dann die Theorieschiene. Wir editieren oder veranlassen Bücher, oder Ausstellungen — zum Beispiel die Eröffnungausstellung des Deutschen Postmuseums „Vom Verschwinden der Ferne“, die in Zusammenarbeit mit unserem Institut gemacht wurde. Weiterhin erschien im Herbst zur Buchmesse ein Buch über die Rolle der Medien in der rumänischen Pseudorevolution. Oder wir veranstalten Symposien, etwa über „Die Strategien des Scheins“ (im November). Es geht da um die ganze Problematik von der Mimesis bis zur Simulation.

Wie sieht es mit den Lehrkräften aus?

Am Anfang beschäftigten wir zum Teil amerikanische Lehrkräfte. Zum Beispiel Mark Dippe, den Chefprogrammierer der Lucasfilm in San Francisco. Der ist nicht einfach ein technischer Manager. Der ist auch ein bißchen ein Hippie. Wenn Sie den Film The Abyss gesehen haben.

Natürlich!!

Da gibt es so eine Schlange aus purem Wasser. Das hat der gemacht. Für diese Sequenz hat er auch den Oscar bekommen.

Zur Theorie. Blickt man zurück in die Kunstgeschichte, so wird offensichtlich, daß der technische Aufwand für den Künstler immer größer wurde. Malerei, Fotografie, Film und jetzt Video und Computer. Der Apparat wurde immer größer und unüberschaubarer. Was bedeutet das für den ästhetischen Prozeß?

Ich glaube, das ist eine der Kernfagen. Weil, wie Sie richtig gesagt haben, Kunst über Jahrhunderte handwerklich produziert wurde und das Produkt von einer einzelnen Person von oben bis unten gemacht werden konnte. Wie man aber weiß, hat das auch die Malerei bei ihren großen Meisterwerken nicht immer so gehandhabt. Bei den Ausmalungen von Kirchen oder Palästen haben Maler von Rubens bis Rembrandt ganze Studios beschäftigt. Fast schon „Factories“. Rubens hat die Hauptfigur gemalt, und den Rest, die ganzen Engel, hat er seine Gehilfen malen lassen. Die kollektive Produktion gab es demnach bereits bei der klassischen Kunst. Aber sie war, ich würde sagen, ideologisch verdrängt.

Durch das Vordringen der Maschine, z. B. bei der Fotografie, bei der der Apparat schon sehr viel mehr macht, bis hin zur Kinematografie und deren Kollektiv, gerieten bestimmte ideologische Definitionen des Kunstwerkes und der Produktionsmethoden ins Schwanken. Es hat Gegenreaktionen gegeben, zum Beispiel nach dem Motto: „Nur die Filme sind gut, die ein Mensch alleine machen kann.“ Ich glaube aber, der Film braucht das Kollektiv. Das Hollywood-System etwa ist zwar nicht das Wünschenswerteste auf der Welt, aber es schöpft Möglichkeiten des Massenmediums Film aus.

Bei Computerkunst kann man wieder viel alleine machen. Aber man hat dadurch einen erhöhten Anteil von Maschinen oder Programmen, die wiederum andere geschrieben haben. Was insgesamt dazu führt, daß man bestimmte historische Fragestellungen — Was ist ein Autor? Was ist ein Künstler? Was ist künstlerische Produktionsmethode? — aufgeben muß. Bisher hat das dazu geführt, solche Werke eher zu diskreditieren.

Man könnte demnach so weit gehen, zu sagen, daß der künstlerische Prozeß, läßt man die handwerkliche Fertigkeit einmal raus, immer schon ein interaktiver ist. Denn der mentale Prozeß, der den Künstler überhaupt dazu bringt, etwa ein Bild zu malen, basiert auf der bereits vorhandenen Kommunikation. Könnte man so weit gehen, zu sagen, daß sich aus der Computerperspektive, die den Akzent eben auf das Kollektiv legt, rückwärtig der Blick auf die Kunstgeschichte verändert?

Sie wird umgeschrieben. Die „Techno-Ästhetik“ übt Druck aus auf die piktoriale Repräsentation, wie überhaupt die Zusammenhänge sind zwischen Bild und Welt. Bisher war das sehr simpel. Da hat man gesagt, hier ist das Individuum, und das entwirft etwas, ein Original etwa. Aber, wie Sie richtig sagten, war auch das Mentale schon Produkt eines Milieus. Deswegen sind auch die wichtigsten Erneuerungen der Kunstgeschichte immer in Gruppen geschehen, im Kollektiv.

Sie haben einmal gesagt, daß „historisch die Medien als eine Erweiterung des Materialbegriffs entstanden sind, und dadurch rückwirkend auch die klassischen Disziplinen wie Malerei und Skulptur oder die Reproduktionstechnik zu Medien werden“. Wo würden Sie im Zuge dieser Medienexpansion die für das Subjekt nicht unerhebliche Frage nach dem Original ansetzen?

Das Original verschwindet. Schon bei der Schallplatte gibt es kein Original mehr. Was man sieht oder hört, ist das Mentale, das Konzept. Das Original ist nicht z. B. die Partitur oder die Schallplatte, sondern die Innovation des Künstlers, sein Konzept. Allein der Markt braucht das Original auf physikalischer Basis. Deswegen hat er die kultische Verehrung des Originals erfunden. Die Menschheit braucht kein Original. Der genügt die Idee. Mir genügt die Schallplatte. Ich muß nicht irgendein Originalband haben. Die Leistung des Künstlers wird dadurch nicht reduziert. Im Gegenteil. Sie wird viel erkennbarer gerade im Vernachlässigen des Handwerklichen.

Das Problem ist, daß die Kunstkritik wie die gesamte Öffentlichkeit noch zu wenig Kriterien besitzt, abzuschätzen, was innovativ ist und was nicht. Ein Bewerber z.B. hat mir vorhin ein Band mit seinen Computeranimationen vorgeführt. Er hat darauf nicht mehr gemacht als die Bedienungsanleitung des Programms selbst schon vorschreibt.

Das Original wäre also ausschließlich die für einen bestimmten historischen Zeitraum geltende Kristallisierung eines Konzeptes?

Genau. Nur wird es schwierig, das Original in Zeit und Raum zu lokalisieren. Deswegen drückt man sich vor dieser Aufgabe.

Es gibt eine Art techno-politischen Aspekt in Ihrem Schaffen. So haben Sie einmal gesagt, daß mit dem Verschwinden der Wirklichkeit — Stichwort Virtualisierung, Cyberspace — auch die Macht verschwindet. Daher begrüßen Sie ein Phänomen wie die Simulation. Wir kennen, sagen Sie, „das Soziale nur verzerrt als Kontrolle“. Gegenstand dieser Kontrolle sei stets der Körper, seine Bedürfnisse. Mit dem Rückgang des Körperlichen durch Virtualisierung schwindet auch der Gegenstand der Kontrolle und Unterdrückung.

Mir scheint, alle sozialen Formen des Verkehrs sind ein verstecktes System der Kontrolle. Die Kontrolle wird ausgeübt über das Körperliche. Das heißt, man wird von Begierden ausgeschlossen, die der Körper oder das Gehirn hat. Ich glaube nicht, daß das Soziale das sein muß, nämlich Kontrolle. Wenn mein Körper verletzt ist, bin auch ich verletzt. Ideal ist es, wenn man seinen Willen auslebt, ohne seinen oder fremde Körper zu bedrohen. Das Telefon ist nun der Beginn, unkörperlich zu kommunizieren. Die Entkörperlichung durch Telekommunikation macht eine aggressionsfreiere Kommunikation möglich.

Glauben Sie an einen „herrschaftsfreien Diskurs“ durch entsprechend „vernünftigen“ Gebrauch von Medientechnologie?

Ich würde daran festhalten, daß der technische Fortschritt, die Immaterialisierung der Kommunikation, die Möglichkeit für den Abbau von Hierarchie birgt. Durch das Aufblühen des Telefons etwa konnten bestimmte Zeitungsformen erst entstehen. Es besteht die Möglichkeit, durch neue Technologien, die Kommunikation zu differenzieren. Je differenzierter eine Kommunikation, um so menschlicher wird sie.

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