: Neue Großoffensive in El Salvador
FMLN will Armee militärisch zu Verhandlungsbereitschaft über Selbstauflösung und Entmilitarisierung des Landes zwingen ■ Aus Managua Ralf Leonhard
Die lange angekündigte Großoffensive der Befreiungsfront Farabundo Marti (FMLN) hat am Dienstag kurz nach Mitternacht begonnen. Die Guerilleros attackierten gleichzeitig militärische Ziele in mehreren Landesteilen und lieferten der Armee Gefechte wenige Kilometer nördlich der Hauptstadt San Salvador. Erste Bilanzen von humanitären Organisationen sprechen von insgesamt dreißig Toten und 175 Verletzten im Laufe des Dienstags. Die FMLN ihrerseits versicherte nach zwölf Kampfstunden, der Armee zweihundert Mann Verluste beigebracht zu haben.
In einem Kommuniqué des FMLN-Oberkommandos wird die Militärkampagne als Antwort auf die unpopuläre Wirtschaftspolitik der Regierung, den mangelnden Fortschritt in der Verfolgung der uniformierten Mörder von sechs Jesuitenpatres, die geringe Verhandlungsbereitschaft der Regierung beim Dialog mit der Guerilla und die Armeeoperationen gegen die FMLN-Fronten erklärt.
Die Militärkampagne unter dem Motto „Strafe für die antidemokratischen Streitkräfte“ habe nur begrenzte Ziele. Anders als im November des Vorjahres, als die FMLN mit ihrer Offensive den Krieg entscheiden wollte, geht es diesmal nur um militärischen Druck. Die Armee soll so weit geschwächt werden, daß sie am Verhandlungstisch die völlige Entmilitarisierung des Landes — also letzten Endes ihre eigene Auflösung — akzeptiert.
Wenn man nichtoffiziellen Sprechern der Guerilla glauben darf, wird die Offensive höchstens eine Woche dauern. Bei den Kämpfen will die FMLN mehr Rücksicht auf die Zivilbevölkerung nehmen. Es sollen nicht mehr — wie im vergangenen Jahr — Aufstände in den Arbeitervierteln provoziert werden, sondern man will die Armee durch eine Reihe von Vernichtungsschlägen gegen militärische Ziele in die Knie zwingen. Gleichzeitig gibt die FMLN bekannt, daß sie sich in eine professionelle „Nationale Armee für die Demokratie“ verwandelt, die wie eine reguläre Armee organisiert und von einem vereinigten Generalstab koordiniert werde.
Die Regierung hat vorerst darauf verzichtet, den Belagerungszustand auszurufen und eine Ausgangssperre zu verhängen. Sie beschuldigt die FMLN, den Dialog sabotieren zu wollen. Panzerfahrzeuge haben in der Hauptstadt Aufstellung genommen, und von Hubschraubern und Jagdbombern aus werden Stellungen der Guerilla beschossen. Am Dienstag hat die UN-Generalversammlung vor dem Hintergrund der Kämpfe eine Resolution zur Unterstützung des Friedensprozesses in Mittelamerika verabschiedet. Darin wird Generalsekretär Javier Perez de Cuellar aufgefordert, sich für beschleunigte Verhandlungen zwischen der FMLN und der rechtsextremen Regierung von Präsident Alfredo Cristiani einzusetzen.
In Anspielung auf die Vereinigten Staaten heißt es zudem, auswärtige Länder, die Verbindungen zu Mittelamerika unterhielten und dort Interessen zu wahren hätten, sollten Schritte zum Frieden und zur Demokratisierung fördern und sich jeglicher Aktion enthalten, die einen solchen Prozeß beeinträchtigen könnte. US-Vertreter Watson sagte, der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen werde voraussichtlich in El Salvador eine ähnliche Rolle spielen müssen wie seinerzeit in Nicaragua. So werde sich die Entsendung von UN- Beobachtern in das Land als notwendig erweisen.
Der Vertreter der UdSSR, Sergej Smirnow, unterstrich, daß die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten beschlossen hätten, gemeinsam zum Abbau der Spannungen in Mittelamerika beizutragen. Perez de Cuellar richtete unterdessen einen dringenden Friedensappell an die kriegführenden Parteien.
Ein noch nicht veröffentlichter Vorschlag der UNO verlangt die sofortige Säuberung der Armee und nennt die totale Entmilitarisierung als Ziel. Für die Armee, die gewohnt ist, über dem Gesetz zu stehen, ist dieser Vorschlag unannehmbar. Verteidigungsminister Ponce stellt bestenfalls eine „Selbstreinigung“ in Aussicht.
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