: Amnesty, Greenpeace, B'nai B'rith
■ Am Rande der KSZE-Konferenz: Non-Government-Organisationen und Kleinstaaten
Pom-Popom-Pom... Vier japanische Wandermönche klöppeln ihr Tambourin im Nieselregen der Avenue d'Iéna. Sobald wieder eine Armada von Staatskarossen und Motorrädern vorbeibraust, erhöht sich die Klöppelfrequenz, und das Psalmodieren wird lauter: „Als Gorbatschow vorbeifuhr, habe ich ihn fixiert und um Frieden gebetet“, berichtet einer der frommen Peace-Pilger, und die Herald Tribune unter der Toga gibt ihm auch Aufschluß über die sonstigen Meditationsobjekte auf diesem Gipfel. Pom-Popom-Pom...
Gemeinsam mit einem versprengten Häuflein Rumänen waren die Mönche die einzigen, die auf dem Pariser KSZE-Gipfel einen Auftritt außerhalb des Protokolls wagten (sieht man einmal ab von jenem tollkühnen Fotografen, der Hannelore Kohl sein Objektiv ins Kreuz rammte und der armen Kanzlergattin derart eine Halskrause verpaßte). Wo waren sie, die Refuzniks, die sich an Botschaftszäune ketteten, wo blieben sie, die Happenings von Antarktisschützern, Muroroa-Sympathisanten und US-Indianern, die auf den bisherigen KSZE-Treffen zum konterdiplomatischen Beiprogramm gehörten? Nichts. Keine Aktion, kein Eklat, keine Ruhestörung. Ob das große Wir-Gefühl des Nordens, von Kalifornien bis Kamtschatka, keinen Platz mehr läßt für Dissidenz?
130 regierungsunabhängige Organisationen (NGOs) hatte Gastgeber Frankreich eingeladen und ihnen acht Monitore, einen Kuppelsaal und vier livrierte Kellner zur Verfügung gestellt. Doch die Vertreter von amnesty, Greenpeace, B'nai B'rith und den anderen verloren sich in den Weiten von Halle und Protokoll, und es war wohl auch nicht das gemeinsame Betrachten von Monitoren, was die NGOs sich unter „Beteiligung“ vorgestellt hatten: „Es ist unmöglich, die Delegationen zu sprechen. Sie werden völlig abgeschottet oder gehen gar nicht erst ans Telefon“, klagte Mient van Faber, Sprecher der „KSZE-Bürgerversammlung“, auf einem Empfang, den die Präsidentengattin Danielle Mitterrand für die Basis-Blocküberwinder ausrichtete.
Keine einzige der 34 Delegationen befürwortete eine institutionalisierte Beteiligung der NGOs am zukünfigen KSZE-Prozeß. Auch Vaclav Havel machte da keine Ausnahme, der die Bürgerversammlung noch vor vier Wochen in Prag eröffnet hatte. Am Dienstag gelang es der Vertreterin der Berliner „KSZE- Frauenkonferenz“, Eva Quistorp, dann doch noch, eine Audienz bei Genscher zu erwirken und ihm die Forderungen nach einer paritätischen Vertretung von Frauen und NGOs beim KSZE-Prozeß zu erklären. Genscher lauschte interessiert, berichtet Eva Quistorp, und warnte vor Übereilung: „Hätten Sie denn noch vor einem Jahr geglaubt, daß wir überhaupt so weit kommen würden?“
Dann waren da noch die sogenannten Klein- und Zwergstaaten. Unvergeßlich, wie San Marinos Regierungschef Gatti die Geschicke seines Hausbergs mit dem Europas zu verbinden wußte: „Möge es um den Monte Titano nie wieder zum Wüten der Schlachten kommen...“ Beeindruckend auch, wie Kardinal Casaroli, der Vertreter des Heiligen Stuhls, einer „Menschheit am Kreuzwege“ ins Gewissen redete und — zum nicht geringen Erstaunen der türkischen Delegation — in der Pariser Charta ein „Echo der evangelischen Botschaft“ wahrnahm. Aber es wurden auch deutlich andere Akzente gesetzt. Islands Premierminister Hermannsson und Norwegens Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland etwa stellten ohne große Umschweife die ökologische Frage in den Mittelpunkt künftiger KSZE- Belange und forderten jetzt eine europäische „Energie-Charta“. Das seit den Zeiten der Wikinger militärfreie Island verlangte eine Abrüstung auch der seegestützten Atomwaffen und zeigte sich bedroht durch Atom- U-Boote, die auf dem Meeresboden vor sich hinrotten.
Und so waren es neben den skandinavischen Ländern, der CSFR und Großbritannien auch die kleinen, die sich in aller Offenheit für eine Vertretung der baltischen Republiken bei der Konferenz aussprachen. Am Veto der sowjetischen Delegation war am ersten Konferenztag eine Initiative Frankreichs gescheitert, den drei baltischen Außenministern einen Gaststatus einzuräumen. Unter Protest wurden die drei des Saals verwiesen. „Für uns ist wichtiger, daß Gorbatschow im Saal ist als die baltischen Länder“, meinte Kanzler Kohl am Rande des Treffens. Andere Delegationen allerdings ließen sich von der Realpolitik nicht daran hindern, die baltischen Pressevertreter spontan auf ihre Liste zu setzen und in das Pressezentrum zu schleusen: „Zum Glück haben uns die Dänen und Schweden Asyl gewährt“, meinte eine Journalistin aus Riga. In La Valeta, dem nächsten Verhandlungsort des KSZE-Prozesses im Januar, werde man weitersehen.
Vor dem Konferenzgebäude an der Avenue d'Iéna trommeln die Mönche. Die meditative Fixierung auf Gorbatschow muß etwas genützt haben: Die Sowjetunion wird in Paris keiner offensiveren UN-Golf-Resolution zustimmen. Alexander Smoltczyk, Paris
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