piwik no script img

Licht ins Dunkle — Klang in den Raum!

■ Die »5.Kreuzberger Klangbilder« im Seitenschiff

Mit Räumen haben sie nun gar keine Probleme, obwohl alle unterschiedlich sind. Innerhalb jedes einzelnen Raums gibt es viele verschiedene Stellen, die immer anders klingen. Das ist auch gut so, denn der Durst nach neuem Hall und Echo ist bei den Kreuzberger Klangmalern schier unendlich. Und deshalb echoloten und fiedeln sie sich durch die Galerien und Theater, kriechen unter die Erde in die Kellergewölbe und Katakomben der Stadt, setzen sich in zwei Badewannen und hubeln dem Schwimmentchen ohne Scheu am Gefieder, bis es gluckst und schnurpst.

Bei aller Lust auf die Fremde, hat diese Form der Erweiterung (und wie sich bereits andeutet auch der Erheiterung) der »Ernsten Moderne« eine Heimstatt gefunden. Im Seitenschiff in der Nostitzstr.25 veranstalten Berliner Musiker der experimentellen Szene seit Jahren optisch-akustische Geräuschabende besonderer Art. Um zeitlich genau zu sein: seit fünf Jahren gibt es in diesem Haus die Kreuzberger Klangbilder, initiiert von den Musikern Mentzel und Jungblut, die jene Geräuschorgien orchestriert haben und sich selbst Kleines Kreuzberger Geräuschorchester nennen. Zusammen mit dem Duo Tucholsky/Kammertöns sind sie als Dauergäste der Klangbilder auch beim diesjährigen 5.Festival mit dabei.

Kurz noch einige Sätze zur Historie dieser Veranstaltungsreihe. Seit 1985 gibt es sie, je nach Eingebung der Macher haben sie auch mal ein Motto, sind es in diesem Jahr die Duos, hatte man es 1988 mit dem »Magnetismus«. Da gab es dann u.a. Beyer's »Imaginäre Folklore«, eine Raum- Klang-Installation mit magnetischen und nichtmagnetischen Materialien, und Ausführungen der Vortragskünstlerin Cosima reif über — natürlich — den Magnetismus. Sie trat sogar den Beweis an, daß selbst ein Lippenstift magnetisch ist.

Im gleichen Jahr 1988 gründete sich auch der »Verein Seitenschiff zur Förderung des künstlerischen Experiments«, um die finanzielle Lage leicht abzumildern. Gleiches versuchen seit einiger Zeit auch der Kultursenat, das Ballhaus Naunynstraße und, in diesem Jahr erst- und letztmalig die Bezirksverordnetenversammlung Kreuzberg. Mittel für die 6.Klangbilder wurden bislang nicht in Aussicht gestellt. Grund: die Einheit. Damit im Ostteil der Stadt ebenfalls die Räume erklingen werden können, ohen daß dabei gleich der Putz oder der Übermieter von der Decke rieseln. An irgendetwas mangelt's eben immer, systemunabhängig.

Die prkäre finanzielle Lage ist zwar ein Wermutstropfen, aber auch Motor und Appetitanreger, um den Publikumshunger nach Experiment außerhalb eines blutarmen akademischen Kulturbetriebs zu stimulieren und Lust auf Musikabenteuer ohne Scheuklappen zu wecken, bei denen nicht zu jeder Gelegenheit der Ernst des Lebens (und der hehren Künste) von der Bühne trieft.

Daß sich die Klangbilder nicht als Heimatfest betrachten, sondern den Ausbau von Kontakten, die Beschaffung von Auftrittsmöglichkeiten in einen europäischen, ja gar globalen kontext stellen, beweist der erste der drei Abende im Seitenschiff.

Anna Palm (Gesang, Geige, Tapes) macht zusammen mit Michelle Chowrimootoo (Percussion, zwei Frauen aus London) auf sehr sensible und charmante Weise außergewöhnlich schöne Songs mit Phantasie- Freiräumen und spannungsgeladener Harmonik. Die Bezeichung von Anna Palm als »Jimi Hendrix auf der Geige« zielt m.E. auf das Falsche, da die Spielart von Hendrix eindeutig männlich dominiert war, die Palm aber in Text und Songs deutlich die Position einer Frau einnimmt.

Ebenfalls international sind Frill Neck aus Sydney. Matthew McGrath bewies ein derartiges Feingefühl und Respekt vor den Ureinwohnern seiner Heimat, daß er von einer Aborigene-Familie aufgenommen wurde und als Gastgeschenk ein Didjeridoo (ein aus steinhartem Rotholz gefertigtes Blasholz) bekam. Mit seinem Landsmann Stewart Dunlop (Gitarre, Percussion) importiert McGrath Aboriginal Country Music auf die Klangbilder am Freitag.

Ungewiß ist der zweite Abend, der nach Pop und Rock des Vortages nun freischwebenden Jazz und neue Kompositionen anbietet. Vor fünf Jahren debütierte das Kleine Kreuzberger Geräuschorchester mit »Kammermusik«, am Samstag ist Premiere für »Rock'n‘Roll«. Aus der Unzufriedenheit über Geschichts- und Bewußtlosigkeit gegenwärtiger Rockmusik, im Extrem erlebt beim »Ex-Frontstadt Festival« in Cottbus, offerieren Helmut Jungblut (Gitarre u.a.) und Wolfgang Mentzel (Bass u.a.) nun ihre Klangvorstellung zum Thema Rockin'N‘Rollin. Als Gast dabei ist Manager, Pressesprecher und Schlagzeuger Reinhard Stey, der mitteilte »daß man zwar nach acht proben sehr zufrieden mit sich sei, eine Senkrechtidee vorhanden wäre, man aber die definitive Endvariante noch nicht gefunden habe«. es wird sie sicherlich auch niemals geben. Wer die Musiker nur von weitem kennt, wird diese Annahme bestätigen.

Das zweite Duo des Abends sind Kontrom aus Wien und Berlin. Spielereien von Paul Schwingenschlögl (Trompete) und Hartwig Nikola (Kontrabass). Auch bei Kontrom ein Gast, die programmatische Duo-Vorgabe steht demnach nicht als starres Diktum im Klangraum. Heiner Reinhardt wird mit seinem Saxophon den Dia- zum Triolog machen.

Der Sonntag widmet sich nun absolut und umfassend dem Raum an sich, den es zu füllen gilt, mit dem man sich auseinandersetzt und den man — im gegenseitigen Einvernehmen versteht sich — in Besitz nehmen will. Das tun dann auch Peter Tucholsky und M.Maria Kammertöns mit ihrer Klanginszenierung »Heitere Moderne« und Ullrich Eller und Paul Haubricks mit der Beförderung von »Kalkuliertem Zufall«.

Auf kreuz und quer gespannten, elektronisch verstärkten Saiten, die den raum bereits optisch vermessen, tastet man sich vorwärts. Wohin? Vielleicht in einen Zustand, in dem Akteure, Raum und Publikum eins werden als homogener, atmender Klangkörper, dessen Einzelelemente sich gegenseitig beeinflussen und einander brauchen. Die Performances transportieren eine Neugier, die Materialbeschaffenheit nachzufühlen, Form und Geräusch sinnlich zu betrachten und in einen materiellen und nicht dingfesten Zusammenhang zu stellen.

Wer die Bereitschaft mitbringt ich auf diese große Gemeinschaft einzulassen, sich auch in ihr fallenzulassen, wird gewiß mit längst vergessen geglaubtem Spieltrieb vom Seitenschiff zurück an Land gehen.

Gänzlich unbestimmt ist der genaue Spielplatz, da für die Klangbilder die »Bühnenlosigkeit« zum Prinzip erhoben wurde. Das heißt, die BesucherInnen kann es im Gang ebenso wie an der Bar ins Ohr treffen. Die Musiker richten sich da vollends nach raumakkustischen Gegebenheiten. Primat hat der Klang, dann erst folgt die Bequemlichkeit des Zuhörers (die natürlich an der Bar bestens gewährleistet ist). Gehen die 5.Klangbilder am 25.November auch zuende, ohne daß die Finanzen für das nächste jahr gesichert sind, das Seitenschiff wird nach wie vor, auch außerhalb dieser Kulminationsgelegenheiten, Ort klanglicher Erkundungen und Begegnungen sein. Micha Möller

Freitag bis Sonntag im Seitenschiff, Nostitzstr.25, 1-61. Genaues Programm an den jeweiligen Tagen unter 'Musik‘

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen