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Blut im Spiel: Das Kino ist krank

■ Ein »Festival des geschmacklosen Films« im »Checkpoint« in der Leipziger Straße

Die Kultur ist krank, wurde gesagt, als das Kino begann. Das Kino sei krank, wurde gesagt, als sich Ende der sechziger Jahre B-Movies zu ihren Geschmacklosigkeiten bekannten oder sie subversiv verkehrten. Der Regisseur und Organisator des Festivals des geschmacklosen Films, Carl Andersen, ist ein begeisterter Anhänger des »sick cinemas«, des »kranken Kinos«. Seitdem er nicht mehr nur kranke B-Filme macht, sondern auch andere Filme aus dem Genre im »Checkpoint« in der Leipziger Straße präsentiert, fährt der ehemalige Jugendklub eine ähnliche Schiene wie das Eiszeit-Kino. Die 13 ausgewählten Festspielfilme liegen irgendwo zwischen Horror, Sex, genial Mißlungenem und dem, was mit der Distanz der Jahre — wie die ursprünglich reaktionären Heinz-Erhard-Filme — erst seine verborgene (zurückgebogene) Kraft erfährt.

Zu den Filmen: Es gab einen Bruch, irgendwann Ende der sechziger Jahre, als aus freundlichen Hippies gemeine Satanisten wurden und sich zwei eigentlich einander ausschließende Vorstellungen (Liebe und Haß) sperrig miteinander vereinigten. Dieser Bruch war so tief, daß sich kannibalische Spuren davon selbst noch in der Rocky-Horror-Picture-Show finden. Aber wo der kommerzielle Kultfilm dreist pausbäckig und wie eine gutgeölte Maschine abläuft, quietscht und krächzt und holpert der kranke Film, setzt sich so im Hirn fest und wird nun seinerseits zum kleineren Kultfilm wie Invasion Of The Blood Farmers, The Hills Have Eyes, Texas Chainsaw Massacre usw.

Die Blutfarmer erscheinen durchgängig wie von einer dünnen Schicht Blut überzogen. Die entsetzlichsten Bilder zeigen keine Blutfontänen und quellende Gedärme, sondern blutverschmierte zitternde Körper, denen der Lebenssaft mit ratternden Maschinen abgesaugt wird. Dazwischen: Erntelatzhosen, Hüte gegen die stechende Sonne, schwachsinnige Dialoge, die — wenn die Satanisten ihre Rituale durchziehen — ins Shakespearemäßige (doch Bildungsgut!) kippen, sich wieder fangen, kurze Röcke, weiße Kniestrümpfe und — denn nicht nur durch Manson, sondern auch durch Vietnam wurden die Hippies verrückt — eine amerikanische Fahne über dem Schuppen blutdurstiger Erntehelfer. Der gute Wissenschaftler experimentiert mit menschlichem Blut, das sich ständig vermehrt; der Böse kooperiert mit Satanisten und ist auf der Suche nach reinem Blut, mit dem Schneewittchen wieder ins Leben gebracht werden soll. In New York läuft der Film jeden Abend als Ritual. In Amerika oder England ist er jugendfrei; in Deutschland frei ab 18.

Über TCM (Texas Chainsaw Massacre) zu schreiben erübrigt sich, jeder Student hat sich daran versucht. TCM ist der klassische Hardcore- Film, die bessere Version von Psycho, ein Film, der bei aller Grausamkeit auf genüßliche Blutrünstigkeiten verzichten kann, ein Film, der wie kein anderer den Wechsel vom Hippie zum Slasher in grandiosen Bildern, Sequenzen, Dialogen verdeutlicht. Ähnliche Accessoires finden sich auch in Wes Cravens The Hills Have Eyes: Da ist ein weites, ödes Land; da sind Hippies, die am Widerspruch zu den Vätern zerbrochen sind und als Bruderhorde sich an der Kleinfamilie grausam rächen, da gibt es einige Vietnamassoziationen, und außerdem wird ein Hund grausam hingerichtet.

Das »sick cinema« ist nicht zufrieden mit der (Film-)Welt und baut sich schrill lachend eine neue. Und ist dabei doch immer noch auf die narrativen Muster klassischer Filmkunst angewiesen. Tausend Interessen und Wünsche und Ebenen widersprechen sich und kommen so nur entschuldigend oder sich hintereinander verbergend zur Geltung: damit der Zuschauer, zumal der stummfilmgewohnte, in Maniac von 1934 nicht zu sehr verunsichert werde, gibt es Tafeln, die die Verrücktheiten der Darsteller klassifizieren: Paranoia ist..., Dementia praecox ist... usw. Doch um die Besessenheiten zu bebildern, wird auf krude Materialität zurückgegriffen; keine psychologische Erklärung — Kindheit pp. — im Film, sondern archaische Bilder sind über das kranke Hirn gelegt: Magierhände, die seltsames Tun dirigieren, drei Teufelchen, die sich feixend die Hände reiben... Die Geschichte? — Wissenschaftler Dr. Meyerschultz weckt qua Herzverpflanzung Tote wieder auf; Assistent gruselt sich vor Katzen; Assistent bringt Arzt um, um sich als Arzt zu verkleiden und dessen Verrücktheiten zu übernehmen. Um die Sexploitation der 30er Jahre zu rechtfertigen, hetzt der verrückte Doppelgänger des Arztes zwei junge Frauen aufeinander, auf daß sie sich die Blusen zerreißen. Er selber schaut nicht zu; der Kampf tobt hinter verschlossenen Türen. Das Kino ist in seinem Kopf, nicht im Kopf des Zuschauers, der — so verwirrt sich alles — die Bilder der kämpfenden weißen Brüste braucht, wie die SchauspielerInnen der nostalgischen Pornofilme die Vorstellung brauchten, daß sie KünstlerInnen seien, und sich so — denn nur Theater ist Kunst — theatralisch bewegen, daß es kein Graus, sondern eine helle Freude ist.

Ferner zu sehen: ein Film der Oshima zugeschrieben wird, Teuflische Brüste von Russ Meyer, Berliner und Wiener Bemühungen um filmkünstlerische Geschmacklosigkeiten von Buttgereit und Andersen. Detlef Kuhlbrodt

Das Festival des geschmacklosen Films ab heute bis zum 29. November im »Checkpoint«, Leipziger Straße 55, Berlin 1080; Termine im Programmteil.

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