: AKW Mülheim-Kärlich: Mauscheleien ohne Ende
Inspiriert vom Antragsteller RWE glättete das Mainzer Umweltministerium ein Gutachten des geologischen Landesamts Briefwechsel belegt Kumpanei von Antragsteller und Genehmigungsbehörde/ Wachsweiches Dementi von Minister Beth ■ Von Joachim Weidemann
Mainz (taz) — Die Kungeleien um die Wiederinbetriebnahme des eingemotteten Atomkraftwerks Mülheim-Kärlich bei Koblenz gehen weiter. Das belegen Aktenvermerke des Mainzer Umweltministeriums und Briefwechsel der Behörde mit dem geologischen Landesamt in Mainz und dem AKW-Betreiber „Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk“ (RWE). Die Unterlagen — sämtlich aus dem Frühjahr 1990 — wurden dem grünen AKW-Kläger Joachim Scheer und der taz zugespielt. Der Mainzer Umweltminister Alfred Beth (CDU) hat den Vorwurf der Mauschelei inzwischen pauschal dementiert, ohne auf den Inhalt der Dokumente einzugehen. Und die sprechen für sich.
Die Papiere beweisen: Um dem AKW möglichst reibungslos eine nachgebesserte erste Teilgenehmigung (1. TEG, neu) zu verschaffen, glätteten Beamte des rheinland-pfälzischen Umweltministeriums, inspiriert von den Wünschen der Betreibergesellschaft RWE, ein offizielles Gutachten des Geologischen Landesamtes in Mainz. Darin waren zusätzliche geologische Untersuchungen des AKW-Standorts als „unumgänglich“ eingestuft worden. Der Coup erfolgte just, nachdem das RWE schriftlich gegenüber der Behörde seinen Unmut über die Expertise geäußert hatte. Beths Ministerium erteilte bald darauf dem Vize- Chef des Landesamtes, Edmund Krauter, „persönlich“ und unter ausdrücklicher Umgehung seines Amtes einen „präzisierten“ Gutachtensauftrag. Das erste offizielle Gutachten des Mainzer Landesamts datiert vom 19. März 1990. Krauter fungierte zwar schon zu dieser Zeit als „Bearbeiter“. Verantwortlich aber zeichnete der erste Mann des Hauses, Volker Sonne. Die Sonne-Expertise greift zurück auf ein geologisches Gesamtgutachten über den AKW-Standort Mülheim-Kärlich vom Juni 1989. Die dortigen Feststellungen, so Sonne, seien zwar „grundsätzlich richtig, sollten jedoch überprüft werden“. So sei bislang für den AKW-Standort noch keine „großräumige Kartierung im Hinblick auf spezielle geologisch- tektonische Verhältnisse ... erfolgt“. Inzwischen gebe es jedoch „neue, weiterentwickelte“ Erkundungsmethoden (etwa Luft- und Satellitenbilder), die auch im Fall des AKWs angewandt werden sollten. Darüberhinaus schlägt Sonne für den Großraum Mülheim-Kärlich (Neuwieder Becken) „Bodengasprüfungen“ vor. Anhand der neuen Methoden ließen sich „Störungszonen und Schichtgrenzen“ besser als bisher erkunden. Für den Großraum des AKW-Standorts würden diese Methoden „noch wesentliche zusätzliche Ergebnisse“ bringen, sowie „Ergänzungen“ für den Standort selbst. Für einen Wissenschaftler erstaunlich allerdings ist dann die Schlußfolgerung, die Sonne aus seinen eigenen Erkenntnissen herleitet. Die ergänzenden Untersuchungen seien zwar „unumgänglich“, würden aber — beruhigt er seine Auftraggeber — dennoch „zu keinen Änderungen“ in dem früheren, positiven Gesamtgutachten führen. Unwissenschaftlich nennt denn auch AKW-Kläger Scheer dieses vorweggenommene Ergebnis einer nicht durchgeführten Untersuchung und vermutet schon hier ein „RWE-freundliches Zugeständis“. Die Einwände Sonnes, nach denen das Umweltministerium den AKW-Standort ohne Beachtung des neusten Standes von Wissenschaft und Technik unersuchte, werden auch auf einer dem Sonne-Gutachten beiliegenden Landkarte deutlich: Darauf ist um Mülheim- Kärlich ein Kreis gezogen und mit einem Fragezeichen versehen. Laut Kartenlegende bedeutet dies: „Fraglicher Verlauf der Störungszone“. Öffentlich dagegen erklären Beths Ministerialbeamte, die die nachgebesserte 1. TEG (neu) erteilten, alle Fragen — auch die der Geologie — für abschließend „geklärt“. Der jetzt bekanntgewordene Briefwechsel zeigt, daß Antragsteller RWE bei der „Klärung“ selbst freundlich nachhalf. Beths Ministerium ließ dem RWE das Sonne-Gutachten vom 19. März postwendend zukommen, quasi zum Gegencheck. (Nebenbei bemerkt: Der Minister hat derlei Vorabinformationen des RWE in der Vergangenheit stets abgeleugnet.) Der Essener Stromriese reagierte prompt. Man möge, baten die Stromer Beths Unterlinge am 29. März, die RWE-Einwände gegen das Sonne-Gutachten doch bitte schön anläßlich eines für den 30. April anberaumten Gesprächs zwischen Ministerium und Landesamt — offenbar im Beisein von Krauter — vortragen. Zitat: „So sind wir der Meinung, daß die von Ihnen für zweckmäßig erachteten Untersuchungen zwar für die Darstellung der allgemeinen geologischen Situation des Neuwieder Beckens (in dem das AKW steht, J.W.) von Interesse sind, aber keine neuen Erkenntnisse im Hinblick auf die Genehmigungsfähigkeit der Anlage am gegebenen Standort erbringen“. Das Umweltministerium wird in dem Schreiben zudem aufgefordert, den Essener Antragsteller über das Gespräch im Landesamt „möglichst kurzfristig Mitteilung zu geben“.
Angehängt ist dem RWE- Anschreiben eine fünfseitige Stellungnahme. Die verfehlte ihre Wirkung in den Mainzer Amtsstuben offenbar nicht — nachzulesen in einem Aktenvermerk des Landesamts vom 2. April 1990: Die beiden Beamten des Umweltministeriums hätten — quasi im RWE-O-Ton — deutlich gemacht, daß die geforderten „Untersuchungen zwar von wissenschaftlichem Interesse seien, aber nicht im Rahmen dieses Genehmigungsverfahrens durchgeführt werden könnten“. Der Untersuchungsauftrag, der sich nur an Krauter „persönlich“ richte, werde daher „schriftlich präzisiert“. Seine Behörde, das geologische Landesamt blieb außen vor.
Danach ging alles zügig voran. Schon am 6. April 1990 wandte sich Krauter an die mit dem AKW Mülheim-Kärlich befaßten Ministerialbeamten Dieter Wolf ( Reaktorsicherheit, Strahlenschutz) und Wolfhard Meier (atomrechtliche Genehmigungsverfahren). Zitat aus dem Schreiben: „Wie mündlich vereinbart, erhalten Sie vorab ein Gerüst meiner gewünschten gutachtlichen Stellungnahme zur geologischen Situation am Standort des Kernkraftwerks Mülheim-Kärlich“. Krauter weiter in devotem Tonfall: „Falls Sie eine Betonung bestimmter Punkte oder sonstige Ergänzungen für erforderlich halten, teilen Sie es mir bitte formlos mit.“ Schließlich wünscht Krauter den Ministerialen „trotz Mülheim-Kärlich schöne Ostertage“. Am 2. Mai dann entschuldigt sich das Umweltministerium beim Geologischen Landesamt schriftlich für das AKW-Manöver. „Unberührt von dieser einzelfallbezogenen Auftragserteilung“ an Krauter sei „selbstverständlich die Eignung“ des Amts in Gutachtenfragen nicht in Zweifel zu ziehen. Am 14.5.1990 liefert der „AKW-Sonderbeauftragte“ Krauter sein Gutachten ab. Es enthält keinerlei Forderungen nach zusätzlichen Untersuchungen der Geologie am Standort des AKW. Vierzehn Tage später geht das bereinigte Gutachten ans RWE. Seither sind Einwände aus dem Konzern nicht mehr bekanntgeworden. Joachim Scheer ist sauer: „Das ist die Geschichte von der Verwandlung eines negativen Gutachtens in ein positives.“ Der Vorgang ist umso brisanter, als der Meiler in Mülheim-Kärlich schon bald ans Netz gehen soll. Umweltminister Beth will „in Kürze“ grünes Licht für den Sofortvollzug der nachgebesserten 1. TEG (neu) geben, womöglich noch vor der Bundestagswahl.
Die alte 1. TEG war vom Bundesverwaltungsgericht Berlin am 9.9.1988 als rechtswidrig verworfen worden. Damals wurde vor allem ein „Ermittlungs- und Bewertungsdefizit“ beim AKW-Genehmigungsverfahren gerügt. Gelernt hat man daraus offenbar nichts: Etwaige Standortgefahren wurden wiederum nur ungenügend, weil nicht nach neuestem Stand von Wissenschaft und Technik, „ermittelt und bewertet“. Mögen die Richter sich dieser Nachlässigkeit annehmen.
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