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Lügner, Betrüger, Karnickelplage

■ Wahlkampfparolen übertönten Steuerdebatte im Bundestag/Letzte Sitzung vor den Wahlen am 2. Dezember/Kanzlerkandidat Lafontaine vergleicht Bundesregierung mit der Popgruppe „Milli Vanilli“

Bonn (taz) — Beim Thema Steuererhöhungen verwandelten Finanzminister Theo Waigel (CSU) und Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine (SPD) gestern das Parlament in eine Wahlkampfarena. Waigel beschimpfte fast eine Dreiviertelstunde lang die SPD als wirtschaftspolitisch unfähige Partei. Er verlor kein einziges Wort darüber, wie er die Finanzierungslücke von 150 bis 200 Milliarden Mark im kommenden Haushaltsjahr schließen will.

Der Finanzminister redete gestern lieber über die Fehler der SPD. Lediglich zur Schadstoffabgabe sagte er: die hätten CDU und CSU bereits im Oktober gefordert — noch vor einer Woche hatte Waigel zum Thema Schadstoffabgabe verkündet, er als Finanzminister müsse nicht alles umsetzen, was die Parteien in ihre Programme schrieben. Der SPD warf er vor, einen „schäbigen Wahlkampf“ zu führen und „Ost und West gegeneinander aufhetzen“ zu wollen. In ihrer Wahlkampfzeitung habe die Partei für „leere Regale im Westen“ Lieferungen in die ehemalige DDR verantwortlich gemacht.

Zuvor hatte SPD-Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine die Bundesregierung mit der Popgruppe „Milli Vanilli“ verglichen: „Die spitzen auch nur die Lippen und nichts kommt heraus.“ Die Bürgerinnen und Bürger wollten nun endlich wissen „Welche Mehrbelastungen wird es im nächsten Jahr geben?“. Dabei sei für sie der Unterschied zwischen Steuern und Abgaben nicht wichtig. An dieser Stelle der Lafontaine-Rede nickte sogar Bundeskanzler Kohl. Und er lachte amüsiert als sein Herausforderer witzelte: „Sie sagen, es gibt keine Steuererhöhung wegen der deutschen Einheit, dann gibt es sie womöglich wegen der Karnickelplage in Australien.“

Lafontaine berichtete, er habe Informationen, die Bundesregierung wolle die Arbeitslosenversicherung erhöhen, aber die Rentenversicherung nur zu einem wesentlich geringeren Anteil senken. Unter dem Strich sei dies eine „Beitragserhöhung um elf Milliarden Mark“. Der Berliner CDU warf er vor, sie verspreche mit ihren Plakaten „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ den Ostdeutschen „kurzfristig viel zu viel“. Für die SPD versprach der Kanzlerkandidat, den Weihnachtsfreibetrag wieder einzuführen und den Verteidigungshaushalt drastisch einzuschränken. Seine Forderung, die Einkommens- und Mineralölsteuer zu erhöhen, wiederholte er nicht. Tina Stadlmeier

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