: Die Schwanzmission
■ Beim Seminar »Aids und Medien« gab's im Eiszeit-Kino schwule Pornos
Ein gerammelt voller Kinosaal, auf allen Plätzen Linke, Aktivisten, Sozialarbeiter, Bewegungsmenschen. Und alle freuen sich auf Fickfilmchen. Keine Grundsatzdiskussionen über Menschenwürde, sexuelle Ausbeutung, PorNo. Pornos standen zu mitternächtlicher Stunde am Donnerstag im Eizeit-Kino auf der Tagesordnung des Seminars Aids und Medien, das die Filmedition Manfred Salzgeber, die Deutsche Aids-Hilfe und das Mann-O-Meter-Schwulenprojekt noch bis Sonntag in Berlin abhalten. Die Schwulen haben's gut.
Die Schwulen haben aber auch früher und (noch immer) mehr als alle anderen das Horrorproblem Aids am Hals. Deshalb war die Rotlichtstunde nicht eine verdiente Zugabe zum harten Seminaristenalltag, wie ähnliches nach CDU-Parteitagen oder Medizinerkongressen mehr oder weniger heimlich über die Bühne geht. Echte Arbeit vielmehr.
Referent des Abends war der Berliner Filmemacher Wieland Speck (Westler). Ansatz der Diskussion: Eine kleine, aber mächtige, überwiegend US-amerikanische schwule Pornoindustrie versorgt den Endverbraucher emsig mit immer neuen Produkten für Heimkino und Nachtbar. Und auf denen wird nach wie vor emsig »ohne« gevögelt, Sperma und anderes geschluckt und und und... Daraus entstand die Idee engagierter Aids-Aktivisten zum pädagogischen Gegenangriff.
Amerika ging voraus. Die »Gay Men's Health Crisis«, New Yorks schwule Aids-Hilfe, tappte nach »erbitterten Diskussionen« 1986 ins Pornometier. Das Ergebnis: A Chance Of A Lifetime, ein Episodenwerk, bei dem die hiesige AL nach langen Diskussionen das hehre Drehbuch geschrieben haben könnte: 1. antirassistisch, ein Schwarzer muß mit einem Weißen; 2. antisexistisch, auf keinen Fall ein zu geiler Body, ein liebes, lustiges Fummelchen muß in die Hauptrolle; 3. antipatriarchalisch, Dominanz und allzu Männliches darf es im Bett nicht geben; 4. ganzheitlich, erst wird endlos geredet, gegessen...; 5. experimentell, neue Schmuseformen, Stellungen, Techniken; 6. sauber, es wird viel geduscht; 7. kulturell wertvoll — ach ja — und 8. aufklärerisch in pädagogischer Reinkultur. Auf dieser Beschlußlage entstand dann ein Streifen, bei dem sich Wohlmeinende schlapp lachten, die Schwänze aber auch schlapp blieben — und nur die mitproduzierenden Staatsbeamten zufrieden waren, weil sie ja nun Gott sei Dank ein für alle Mal ihre Schmuddelpflicht getan hatten. Ein Schuß, der nicht in die Unterhose, sondern völlig nach hinten losging. Safer Sex war damit dank akademisch-politischer Pornoschaffender als Schlafmittel diskreditiert, die Wixer lachten sich einen.
Bei uns wagte sich nach einem Quickie der Schweizer schließlich Wieland Speck missionarisch an die Schwänze — und konnte Aids-Hilfe und Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung überzeugen. So wurde die Bundesrepublik Deutschland schließlich im 39. Jahr nach Godesberg zur Pornoproduzentin. Heraus kam eine kabarettistische Pariserrevue, bei der der Schriftsteller Detlef Meyer in Krawatte und weißem Hemd und zwei nackte Jungs eifrigst Gummis aus aller Herren Länder präsentierten. Der Literat charmant schmachtend, die Boys eifrigst bemüht um die notwendige Härte zum überstülpen. Nett.
Aber nix für eingefleischte Heimwixer und uneinsichtigste Pornokinobesucher. Für die produzierte man zudem Minispots als Vorspänne zu den kommerziellen Kopien. Ein kaum dem angeblichen »Schutzalter« entwachsenes Bürschchen übt im einen Fall auf dem heimischen Einbauküchenbüffet mit neuen Gummis, Berliner Jungszenemänner tun's in den anderen beiden Fällen im WG- Schlafzimmer. Und all dies mit echt puffiger Synthie-Musik. Fast wie richtige Pornos, bloß irgendwie sauberer... vögeln für den guten Zweck.
Der war schließlich auch schuld daran, daß Regisseur Speck seine Phantasien hatte zurückhalten müssen. Galt es doch nicht, wie er den Seminaristen überzeugend darlegte, neue Pornokultur zu schaffen, sondern Althergebrachtes möglichst stilgetreu zu imitieren. Wenn er jedoch dürfte, wie er wollte... »Essen wird bei uns wie blöde kultiviert, an jeder Ecke gibt's ein Feinschmeckerlokal«, klagte der Filmemacher vor mitleidendem Publikum, »aber die sexuelle Kultur ist auf der Stufe der Imbißbuden hängengeblieben.« Bezeichnend für diesen kulturellen Mißstand sei es jedoch, wenn man mittlerweile über zwölf TV-Kanäle verfüge, aber den ganzen Abend hin- und herschalte »und keinen einzigen Ständer finde«, »deshalb«, so des Filmers Fazit, »brauchen wir Pornos — das sind die rausgeschnittenen Szenen aus den Spiel- und Fernsehfilmen«.
Specks Worte in von Lojewskis Ohr. Kulturell weniger aufgeschlossen zeigte sich ein Zuschauer aus dem prämedialen Zeitalter. Sein dreidimensionales Kredo in Sachen Porno: »Wenn ich Hunger habe, lese ich doch auch nicht im Kochbuch...« Thomas Kuppinger
Heute im Eiszeit-Kino die politischen Filmdokumentationen zu Aids aus dem Seminarprogramm: um 17 Uhr Rights And Reactions (USA 1988), um 19 Uhr Coming Out (BRD 1988), eine Dokumentation aus München, um 21 Uhr gibt es eine Talkshow; ab 24 Uhr wird im SchwuZ gefetet.
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