„Gladio“: Bonn auf Tauchstation

■ Immer noch kein Bericht für die Öffentlichkeit/ Die belgische Regierung löst „Gladio“ auf/ Die holländische Geheimorganisation aus den fünfziger Jahren soll weiterbestehen

Berlin (taz) — Einen Tag, nachdem sich die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) in Bonn erstmalig mit dem ominösen Nato-Geheimdienst in der BRD befaßt hat, ging die Bundesregierung gestern wieder auf Tauchstation. Der Antrag der Grünen auf eine Debatte über „Stay Behind“ im Bundestag wurde mit den Stimmen von CDU, FDP und SPD abgelehnt. Zwar hatte der für die Geheimdienste zuständige Staatsminister im Bundeskanzleramt, Lutz Stavenhagen (CDU), noch am Donnerstag angekündigt, er wolle die Öffentlichkeit mit einem detaillierten Bericht über das Treiben der Geheimtruppe mit dem Namen „Stay Behind“ informieren, doch war gestern nicht einmal zu erfahren, wann dieser Bericht vorgelegt wird. Statt dessen teilte ein Mitarbeiter des Staatsministers der taz mit, die Presse müsse sich mit dem Gedanken vertraut machen, daß es „auch in unserem Staat geheime Dinge gibt, die nicht für die Diskussion in der Öffentlichkeit bestimmt sind“.

„Stay Behind“ war kurz nach dem Zweiten Weltkrieg von den westlichen Besatzungsmächten aufgebaut worden. Die Geheimtruppe sollte nach einer feindlichen Invasion hinter der Frontlinie operieren.

Hinweise auf rechtsradikale Querverbindungen der bis vor einigen Wochen noch als „top secret“ gehandelten Organisation bestritt Stavenhagen. Ob die Bundesregierung allerdings genügend Einblick in die „Arbeit“ der Geheimen hatte, um dies überhaupt zu beurteilen, ist fraglich. Aus einer gestern bekannt gewordenen Antwort des Staatsministers auf eine kleine Anfrage des grünen Bundestagsabgeordneten Manfred Such geht zum Beispiel hervor, daß „Stay Behind“ praktisch einen Freibrief für seine Tätigkeit hatte. Darin ist die Rede von „Vorkehrungen, die zwar in Absprache mit Nachrichtendiensten anderer Nato- Länder, jedoch in eigener Regie und Verantwortung des Bundesnachrichtendienstes (BND) getroffen wurden“. Und: Unterlagen über die „Arbeit“ der Truppe existieren erst seit dem Jahr 1977.

Mehr Öffentlichkeit über die Nato-Geheimen existiert inzwischen bei den europäischen Nachbarn. In Brüssel entschied die Regierung am Donnerstag, die Geheimorganisation „Gladio“ aufzulösen. Ministerpräsident Martens will erst die Untersuchungen abwarten, bevor er öffentlich ausschließt, daß die Organisation in Belgien in politische Terrorakte verwickelt war. In den Niederlanden gab Ministerpräsident Lubbers bekannt, daß die „Organisation und Aufklärung“ noch nicht aufgelöst wird. Ausdrücklich lobte er die Verschwiegenheit von insgesamt dreißig Ministern, die Bescheid wußten. Parlamentarier der Regierungs- und Oppositionsparteien hingegen beklagten, daß sie nie informiert wurden. Dorothea Hahn

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