: Ehemalige Vergangenheiten
■ Der Deutsche Künstlerbund stellt sich an vier verschiedenen Orten aus
Ziel des Deutschen Künstlerbundes war schon 1903: »dem Künstler seine Freiheit zu sichern.« Harry Graf Kessler meinte mit dieser Floskel gegen den wilhelminischen Staat opponieren zu können. Eine Illusion, die gründlich enttäuscht wurde, denkt man an die vielen toten Weltkriegsopfer der künstlerischen Avantgarde des Zweiten Reiches und die Verfolgung von »entarteter Kunst« im Dritten Reich. Eine mangelnde Opposition zum Staat aber konnte man der Künstlervereinigung nicht nachsagen.
Mit der Neugründung im Jahre 1950 setzte sich ein anderes Verständnis jenes Satzes durch: der Staat war plötzlich Garant künstlerischer Freiheit. Nicht zufällig hob diese Wendung zur Subventionskunst die Vorsitzende des Deutschen Künstlerbundes, Verena Vernunft, in der Eröffnungsrede zur 38. Jahresausstellung hervor: »Staat und Städte haben weitgehend an die Stelle des privaten Mäzenatentums zu treten; Staat und Städte sollen das Urteil der Allgemeinheit führen, ihm nicht folgen.« Einer Vereinnahmung der Kunst durch die öffentliche Hand war ein Weg freigemacht, der heute auch ihr Wechselverhältnis zur Wirtschaft bestimmt: Kunst wird für Rathäuser, Museen, Foyers und Repräsentationsbauten erstellt. Man verwendet unverhältnismäßig große Leinwände und bunte, aber nicht zuviel Aufmerksamkeit erregende Farben; der Blick soll über die Bilder angenehm hinweggleiten, sich aber keineswegs mit ihrem Sinn oder Unsinn beschäftigen. Irgendwo ist in diesen Räumen immer auch Platz für jene Objekte, die, einer wirklichen Öffentlichkeit konfrontiert, Skandale erregen, hier aber eine falsche museale Friedlichkeit ausstrahlen. Rita Süssmuth erklärte in ihrer Eröffnungsansprache, wie solche Vereinnahmung funktioniert: Die Bilder werden nicht als solche geschätzt, sondern als transzendierende Kräfte verstanden, sie verweisen immer auf ein in ihnen gerade nicht Dargestelltes. Und tatsächlich, so funktioniert auch das Betrachten der Ausstellungsstücke durch die eingeladene Berliner Kunstprominenz: bloß schnell weg vom Bild, den eigentlich geselligen Funktionen des Abends sich zugewandt.
Dr. Zügel von der Landesgirokasse Stuttgart führt die wirtschaftliche Variante dieses Lebens mit Kunst vor. Während er den mit 30.000 Mark dotierten »Harry Graf Keßler«-Preis an Rolf Szymanski und den Nachwuchspreis gleicher Höhe an Bernhard Garbert vergibt, hält er stolz gegen Adorno und Horkheimer fest: Kunst werde dadurch nicht käuflich. Um Kunst nämlich geht es auch ihm gar nicht mehr: die vereinnahmten Objekte fungieren nur mehr als Metaphern für die Innovationsansprüche der Wirtschaft, die als solche auch den Mitarbeitern seiner Geldinstitute zuzumuten sind, die dem Mäzenatentum ihrer Oberen zunächst skeptisch gegenübergestanden hätten.
Nach dieser Eröffnungsshow aber gibt es auch Bilder und Skulpturen zu sehen, und zwar gleich an fünf Ausstellungsorten. Eine besondere Bedeutung hat man den Künstlern aus der »ehemaligen DDR« gleich im ersten Raum der Akademie der Künste (West) zugeteilt. Den Besucher erwarten zwei Überraschungen: kommt er aus dem Westen, so muß er sich erst einmal mit Blick auf die Schilder informieren, ob er im richtigen Raum ist. Er sieht, was er im guten und schlechten aus seinen Galerien gewohnt ist: ein neuwildes »Brimborium« von Hartwig Ebersbach, einige Versuche in Picasso und Klee von Dieter Golitsche. Größer ist die Enttäuschung für die ostdeutschen Besucher, ihnen ist kaum einer der Ausgestellten unbekannt. Den repräsentativen Mittelpunkt der gezeigten Exponate bilden Werke von Max Uhlig (*1937) und Hans Vent (*1934). Uhlig ein anerkannter Devisen einbringender Künstler mit großem Erfolg im Westen, Vent eines der bedeutenderen Mitglieder der Akademie der Künste (Ost). Eine verbotene oder versteckte Kunst scheint es in der DDR nicht gegeben zu haben, noch weniger eine junge Avantgarde.
So wird der Titel, den man dieser Sonderausstellung gegeben hat, symptomatisch für die gesamte Präsentation: schon die Bilder aus der »ehemaligen DDR« erinnern an das immer noch Gestrige der Westkunst. So sind zwar Zitate und Bezüge auf andere Werke in der modernen Kunst von größter Wichtigkeit, heute aber findet man selbst in besseren Exponaten oft komplette Reproduktionen bekannter Techniken und Motive: Die Palette reicht von den farblich wenig originell komponierten Landschaftsbildern eines Dietmar Lemcke, die nachholen, was Künstler vor 100 Jahren entdeckten, bis zu der gelungenen Tuschzeichnung Atelierbesuch von Hal Busse, die aber völlig in der Welt von Beuys befangen bleibt. Auffällig, daß bei Busse zwei Anachronismen der Malerei Verwendung finden, die wegweisend für die Befreiung aus der heutigen Kunstkrise sein werden: der weitgehende Verzicht auf Farbe und die Rückkehr zu kleineren Formaten. Die kritische Orientierung an der Farbe findet sich noch bei Werner Berges und Roland Dörfler, deren Bilder in der Staatlichen Kunsthalle ausgestellt sind. Ein weiteres Beispiel für die notwendige Reduktion auf schwarz-weiße Farbgestaltung sind die Fundstücke von Angela Amon in der Akademie der Künste. Eine andere große Ausnahme, die leider im Katalog nur unzureichend dokumentiert ist, stellen die Bilder von Friedrich Einhoff dar, die in der Galerie am Marstall zu sehen sind: hier deuten figürliche Kompositionen schemenhafte, mit Kohle auf Sand skizzierte menschliche Arbeiten und Bewegungen an, die, gerade so festgehalten, Alltagsdetails erst wieder sichtbar machen.
Die vielfältigsten Eindrücke aber hinterläßt sicherlich ein Besuch im Künstlerhaus Bethanien, dessen Studio schon vom Ausstellungsraum her interessante Experimente erlaubt: Von der Galerie aus eröffnen sich immer neue Perspektiven auf die Ausstellungsstücke. Auch mit Licht und Klangeffekten hat man hier nicht gespart. Zwar ist nicht gerade alles sonderlich originell, aber es gibt interessante Motive, so die von Marianne Greve graphisch und klanglich festgehaltenen Tonfrequenzen von U-Bahn, Cello und fließendem Wasser, die über Kopfhörer vis à vis den Frequenzdiagrammen anzuhören sind. Bemerkenswert auch Die Vertreibung der triumphierenden Bestie, Marina Makowskis Auseinandersetzung mit Giordano Bruno. Ist hier einerseits noch einmal seiner Verbrennung durch den Klerus des Vatikans polemisch gedacht, verweisen zwei Fotografien physikalischer Energieprozesse auf die heute bestialisch verwendeten naturwissenschaftlichen Entdeckungen des bedeutenden Ketzers.
Eine gefährliche Zweischneidigkeit auch der künstlerischen Erfindung wird hier deutlich, die aber eine der wenigen Alternativen zur endlosen Perpetuierung des Endes von Kunst und Welt ist, für die die postmoderne Beliebigkeit steht, mit denen in zu vielen Ausstellungsräumen Bilder unterschiedlichster Stilrichtungen und Motive aneinandergereiht sind. Thomas Schröder
Ausstellungsorte: Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, und Künstlerhaus Bethanien, Mariannenplatz 2, täglich (außer montags) 10 bis 19 Uhr; Galerie im Marstall, Marx-Engels-Platz 7, und Staatliche Kunsthalle, Budapester Straße 42-46, 10 bis 18 Uhr. Hinzu kommt eine Präsentation von Großskulpturen im Lustgarten am Marx-Engels-Platz. Die Ausstellungen dauern bis zum 19. Dezember 1990.
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