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Monatelang verhandeln — für nichts

■ Hausbesetzer, Wohnungsbaugesellschaften und Magistrat verhandelten von Juni bis Oktober ohne Ergebnis, dann brach der Magistrat die Verhandlungen ab/ Besetzer wurden hingehalten

Friedrichshain. Anfang Januar wurden in Ost-Berlin die ersten beiden leerstehenden Häuser besetzt, bis April folgte sechzehn weitere. Die Besetzer — damals war die Mauer zwar schon löchrig, jedoch noch vorhanden — kamen ausnahmslos aus dem Osten. Nach anfänglicher Unsicherheit der zuständigen Behörden (Magistrat, Bezirksamt, Wohnungsverwaltung) waren sie bereit, wenn auch zaghaft, die Besetzer zu dulden; der Runde Tisch von Ost-Berlin verabschiedete eine Erklärung, in denen den Besetzern zugesichert wurde, daß sie in den Häusern bleiben können. Der Westberliner Senat griff tief in die Tasche und machte 25 Millionen DM locker — zur Unterstützung von Ostberliner InstandbesetzerInnen.

Eine neue Qualität wurde am 30.April erreicht, als eine Gruppe von WestberlinerInnen einen ganzen Straßenzug im Osten besetzte — die zum Abriß freigegebene Mainzer Straße. Ein Teil der neuen Bewohner brachte Erfahrungen in puncto Besetzungen mit, schon bald avancierte die »Mainzer« zum politischen Zentrum. Die BesetzerInnen nahmen Verbindung mit der Kommunalen Wohnungsverwaltung (KWV) auf und erreichten, daß diese ihnen schriftlich ein Bleiberecht zusicherte. Trotzdem hielt die KWV die »Mithilfe und Entscheidung des Magistrats für unumgänglich, weil Instandbesetzungen immer Probleme der ganzen Stadt sind«.

Am 1. Juli wurden die KWVs in Wohnungsbau GmbHs nach westlichem Muster umgewandelt und erhielten Geschäftsführer aus dem Westen. Fast gleichzeitig organisierten sich über achtzig von nunmehr rund einhundert besetzten Häuser in einem Vertragsgremium, das mit dem Magistrat Verhandlungen führen sollte. So forderte das Gremium eine Nichträumungsgarantie für alle Häuser sowie Geld und Materialien, um die Häuser winterfest machen zu können. Zunächst fand das Gremium jedoch keinen Ansprechpartner. Erst als Baustadtrat Thurmann einen erbitterten Brief bekam, bevollmächtigte er einen Mitarbeiter, mit den BesetzerInnen Gespräche aufzunehmen. In der Folge wurden auf beiden Seiten immer wieder Vereinbarungen formuliert, die auch beiderseitig unterschrieben werden sollten. Dazu sollte es aber nie kommen.

Zurückgezogen wurde das Angebot des Magistrats vom 3. August, »nach Abschluß der Baumaßnahmen langfristige Nutzungsrechte« erwirken zu können. Inzwischen halten Magistrat und Wohnungsbaugesellschaften Einzelmietverträge für das maximale, rechtlich vertretbare Zugeständnis. Ein Rahmenvertrag für alle Häuser wurde ebenfalls abgelehnt. Er sollte den folgenden Einzelverhandlungen zugrunde gelegt werden, um bestimmte Sicherheiten zu garantieren. Der Magistrat selber bergründete seine Verhandlungshaltung mit der sogenannten »Berliner Linie«. Damit war und ist ein neuer Konfliktpunkt vorprogrammiert. Angesichts von Wohnungsnot und Häuserleerstand sei eine solche Politik nicht vertretbar, meinten die Besetzer. Klare Linie des Vertragsgremiums: Auch Neubesetzungen sollten in die Verhandlungen mit aufgenommen werden. Der Magistrat dagegen besteht darauf, Neubesetzungen umgehend zu räumen.

In den Verhandlungen verhärteten sich zusehendst die Fronten: Der Magistrat wollte nicht grundsätzlich über alle Häuser verhandeln und sich nicht unter Druck setzen lassen. Er betonte immer wieder, daß die ungeklärten Eigentumsverhältnisse sowieso noch keine Vertragsabschlüsse zulassen würden. Man wolle sich vor möglichen Regreßansprüchen der neuen Eigentümer schützen, die ja auch ein Recht auf die freie Verfügung ihres Besitzes hätten. Vertragsgremium und Magistratsjurist Scholz erarbeiteten gemeinsam eine letzte Vereinbarungserklärung. Auch sie wurde nie unterzeichnet — am 8. Oktober brach der Magistrat die Verhandlungen ab. Später erklärte der Magistratsunterhändler Martini in einem taz-Interview, daß ein Vertrag des Magistrats mit den Besetzern »politisch nicht gewollt« war.

Einzelnen Häusern wurden jedoch nach wie vor Verträge angeboten. Wie diese aussehen, zeigte sich in dieser Woche einmal wieder deutlich am Beispiel des besetzten Hauses Rigaerstraße 95 in Friedrichshain: Die Wohnungsbaugesellschaft bot den Besetzern einen Vorvertrag an — eine Absichtserklärung, mit den Besetzern eine Instandsetzung durchzuführen, ohne sie vorher in irgendeiner Form zu legalisieren. Einzelmietverträge mit den Bewohnern sollen erst dann abgeschlossen werden, wenn das Modernisierungskonzept vertraglich vereinbart worden ist. Die Besetzer lehnten den Vertrag ab, weil sie so jederzeit geräumt werden können. Sie legten einen eigenen Vertragsentwurf vor, der eine befristete Legalisierung — in Form einer Duldung — von maximal zwei Jahren vorsieht. In dieser Zeit sollen die rechtlichen Möglichkeiten für langfristige Verträge und ein Instandsetzungskonzept ausgehandelt werden. Die Wohnungsbaugesellschaft reagierte darauf bislang nicht.

Am 12. November ließ die Wohnungsbaugesellschaft Lichtenberg die besetzten Häuser Pfarrstraße 110 und 112 räumen, obwohl eine politische Lösung auf Bezirksebene vorgesehen war. Die Bezirksverordneten erfuhren im nachhinein, was über ihre Köpfe hinweg geschehen war. wk/ok

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