: Impfstoff-Leckerbissen für Waschbären
Amerikanische WissenschaftlerInnen starten den ersten offiziellen Freilandversuch mit einem rekombinierten Tollwut-Impfstoff/ Die ahnungslosen Opfer sind Waschbären auf Parramore/ Das Vakzin ist auch für den Menschen gefährlich ■ Von Ute Sprengler
Im feuchtheißen Spätsommer dieses Jahres zog es 12 US-amerikanische ForscherInnen für zehn Tage auf die menschenleere Küsteninsel Parramore vor Virginia. In ihrem Gepäck trugen sie Leckerbissen für die kleinen kurzbeinigen Bewohner der Insel, die Waschbären. Das Gastgeschenk, mit dem die BesucherInnen den geschickten Kletterern und Allesfressern da aufwarteten, war allerdings alles andere als eine freundliche Geste.
Die Waschbären auf Parramore sind die ahnungslosen Opfer des ersten offiziellen Freilandexperiments mit einem rekombinierten Lebendimpfstoff in den Vereinigten Staaten. Die 3.000 präparierten Köder aus Fischöl und Polymeren im Gepäck der BesucherInnen waren zusätzlich mit einen gentechnisch manipulierten Vaccinia-Virus gegen Tollwut und einem Antibiotikum versetzt. Das Antibiotikum soll die mit dem Köder infizierten Tiere später identifizieren helfen, denn es läßt sich auch nach langer Zeit noch bei Untersuchungen im Blut nachweisen. Da nutzte es den kleinen Bären denn auch nichts mehr, ihre Nahrung wie gewöhnlich vor dem Essen im Wasser zu waschen. Der angebotenen High-Tech- Schluckimpfung ist mit solch traditionellen Methoden nicht beizukommen.
Rinder, Dachse und Hunde als Versuchstiere
Die 12 ForscherInnen auf der Insel kamen aus dem renommierten Wistar Institut in Philadelphia, Pennsylvania. Vier Jahre nachdem das Institut illegale Versuche mit dem Tollwut-Lebendimpfstoff in Argentinien durchführen ließ, arbeitet es diesmal mit Genehmigung der Behörden im eigenen Land. Beteiligt an diesem Experiment, für das das US-Landwirtschaftsministerium bereits im März 1989 grünes Licht gab, das aber bislang wegen Bedenken auf Seiten der Behörden vor Ort nicht durchgeführt werden konnte, ist neben Wistar auch der französische Chemiekonzern Rhône Merieux. Merieux vermarktet den in den Versuchen eingesetzten Lebendimpfstoff VRG (Vaccinia rabies glycoprotein) der Mitte der 80er Jahre von der Straßburger Firma Transgene entwickelt wurde. Außer nordamerikanischen Waschbären und argentinischen Rindern haben bereits seit einigen Jahren europäische Füchse, Dachse, Wildschweine, Rinder, Hunde und Frettchen den rekombinierten Impfstoff in ausgedehnten Impfprogrammen kennengelernt.
Die BewohnerInnen der Ostküste der Vereinigten Staaten fürchten die Waschbären, die sich auf Nahrungssuche nächtens auch in ihren Vorstädten tummeln, als mögliche Überträger von Tollwut-Viren. Der Tollwut, einer das Nervensystem schädigenden Krankheit mit häufig tödlichem Ausgang für Mensch und Tier, wird heute nicht mehr nur mit dem Töten möglicherweise infizierter Tiere, Quarantäne-Maßnahmen und Maulkorbpflicht für Hunde begegnet, sondern auch im Rahmen ausgedehnter Impfprogramme mit einem Impfstoff, der seit 1972 unter Beteiligung der WHO entwickelt wurde. Der auf Parramore eingesetzte Impfstoff bedient sich rekombinierter Vaccinia-Viren. Das Vaccinia-Virus der Kuh-Pocken ist seit rund 200 Jahren bekannt und wurde erstmals in Großbritannien gegen Ende des 18. Jahrhunderts als Lebendimpfstoff gegen Pocken beim Menschen verwendet. In dem Fall des rekombinierten Tollwut-Impfstoffes allerdings wird das Pocken-Virus als Transportmittel eines zuvor aus dem Tollwut-Virus herausgschnittenen Gens verwendet. Eingeführt in das Vaccinia-Virus soll dieses Gen die Vaccinia-Virus-Hülle mit einem Tollwut-Virus-Protein ausstatten. Das Immunsystem der Tiere bildet dann gegen das vermeintlich Tollwut-Virus Antikörper und schützt dadurch die Tiere gegen echte Tollwut-Viren.
Im Diplomatenkoffer nach Argentinien
Die Troika Wistar/Rhône Merieux/ Transgene trat bereits im Juli 1986 mit dem gentechnischen Vaccinia- Impfstoff VRG zu einem breitangelegten Tier- und Menschenversuch auf einem argentinischen Versuchsgelände der panamerikanischen Gesundheitsorganisation PAHO an. Um die zeitraubenden Sicherheitsbestimmungen in den USA zu umgehen, wurde kurzerhand der Impfstoff auf dem Umweg über Brasilien im Diplomatenkoffer nach Argentinien gebracht. Unter der Leitung von Professor Hilary Koprowski wurden ohne Wissen und Genehmigung argentinischer oder US-amerikanischer Behörden 20 Milchrinder mit dem Vaccinia-Virus infiziert. Dabei nahm Wistar nicht nur in Kauf, daß das Virus ebenfalls auf die Melker übertragen wurde, sondern beabsichtigte dies geradezu, wie Oscar Alejandro Bruni, der damalige Direktor des argentinischen Dienstes für Tiergesundheit SENASA behauptete. Daß nämlich auch die Melker regelmäßig zur Blutuntersuchung mußten, deutet immerhin darauf hin, daß sie Teil des geheimen Experiments waren.
Die Staatsanwaltschaft des Landes leitete nach Bekanntwerden dieses Skandals ein Ermittlungsverfahren ein. In der Zwischenzeit sind rekombinierte Vaccinia-Impfstoffe nicht nur in Argentinien eingesetzt worden, sondern wurden und werden in verschiedenen Verbindungen gegen Tollwut und andere Erkrankungen in mindestens vier weiteren Ländern im Freiland getestet, wie in Neuseeland, Zaire, Belgien und Frankreich.
Eine im Erbgut veränderte Weiterentwicklung des abgeschwächten Tollwut-Lebendimpfstoffes, wird derzeit in der Schweiz von Anne Flamand vom französischen Centre National de la Recherche Scientifique an der Grenze zu Frankreich ausgelegt. Das Team um Flamand manipuliert zwar nicht gentechnologisch, hat aber mit mikrobiologischen Methoden ein erbgutverändertes Virus selektiert, gezielt vermehrt und als Impfstoff eingesetzt.
Hirnhautentzündung als Nebenwirkung
In den Vereinigten Staaten gibt der Leiter des Wistar Instituts, Warren B. Cheston, den, wie er meint, schwerfälligen Vorschriften und Maßnahmen die Schuld an der Verzögerung des Freilandtests. Seit mehr als einem Jahr schon wurde bei Wistar darauf gewartet, aufs Feld gehen zu können. Die Freisetzungen mit dem gentechnisch manipulierten Virus würden „keinen wesentlichen Einfluß auf die Qulität der Umwelt des Menschen haben“, schätzte das US-Landwirtschaftsministerium und erteilte bereits im März 1989 seine Erlaubnis. Vorgesehen war bei Wistar, die Versuche an den Waschbären bis zum Beginn der Jagdsaison 1989 abgeschlossen zu haben. Alles was noch fehlte war die Zustimmung der Behörden des Bundesstaates South Carolina, wo das geplante Test-Gebiet liegt.
Doch die VertreterInnen dieser Behörden ließen sich Zeit. Statt einer Genehmigung fragten sie nach, wie es denn um die Sicherheit des Impfstoffes bestellt sei. Immerhin wäre bekannt, daß das Ausgangsvirus des Tollwut-Impfstoffes, der Kopenhagen-Stamm, beim Einsatz am Menschen gesundheitsgefährdend sei. Eine der möglichen Nebenwirkungen des Stammes sei zum Beispiel Hirnhautentzündung. Was lag da für Wistar näher, als sich nach weniger komplizierteren Partnern in einem anderen Bundesstaat umzusehen?
Vom Landwirtschaftsministerium kam im Juli 1989 eine weitere Genehmigung für ein alternatives Versuchgsgelände in Virginia. Erneut begannen die Verhandlungen mit den Behörden und mit der privaten Besitzerin der Insel Parramore, der Umweltschutzorganisation Nature Conservancy. In diesen Verhandlungen knüpften die UmweltschützerInnen drei Bedingungen an die Einwilligung in die Versuche auf ihrer Insel. Zum einen sollte Wistar zuvor eine Versicherung abschließen. Zweitens forderten sie die Zusicherung von Entschädigungen für den Fall von Prozessen wegen der Freisetzung der gentechnisch veränderten Organismen und als drittes verlangten sie ein Mitspracherecht über Ausführung und Kontrolle des Versuchs. „Es dauerte eine ganze Weile, bis wir übereinstimmten, und die Ausarbeitung der Details war ein langwieriger Prozeß“, beschreibt Wistars Warren B. Cheston die Verhandlungen, an denen auch Rhône Merieux beteiligt war.
In diesem Sommer endlich waren sie dann für das Institut von Erfolg gekrönt. Der erste rekombinierte Lebendimpfstoff ist in den USA offiziell in die Natur entlassen worden, die Gentechnik hat die Insel erobert und mittlerweile arbeitet der seit vielen Jahren auf Parramore forschende Nature-Conservancy-Biologe Ray Dueser dort mit den Wistar-WissenschaftlerInnen zusammen. Wistar selbst bereitet derzeit schon den nächsten Freisetzungsversuch mit dem VRG-Impfstoff auf dem Festland im Nordosten des Bundesstaates Pennsylvania vor (s. auch GID 62).
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