: Südafrika auf der Suche nach Schwung
Mandela und de Klerk im Krisengespräch/ Der Verhandlungsprozeß ist festgefahren/ Regierung fordert Einstellung friedlicher Proteste, die „zu Gewalt führen“/ ANC-Vorwürfe gegen Polizei ■ Aus Johannesburg Hans Brandt
Zu einer Krisensitzung trafen sich gestern Südafrikas Präsident Frederik de Klerk und Nelson Mandela, Vizepräsident des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC). Damit soll wieder Schwung in den seit Wochen festgefahrenen Verhandlungsprozess gebracht werden. Schlüsselproblem ist die Frage, welche Konsequenzen die Anfang August vom ANC angekündigte Suspendierung des bewaffneten Kampfes hat. Die Regierung besteht darauf, daß damit auch Protestaktionen, die „direkt oder indirekt zu Gewalt führen“, suspendiert sind. Der ANC meint jedoch, daß Demonstrationen, Massenversammlungen und Boykotte gewaltlose, friedliche Protestformen und damit legitim sind.
„Friedliche Massenproteste sind Teil des politischen Prozesses“, räumt der stellvertretende Minister für Verfassungsfragen, Rolf Meyer, ein. „Aber es ist problematisch, wenn Aktivitäten stattfinden, die zu Destabilisierung und Gewalt führen.“ Meyer zufolge gehören dazu alle Formen zivilen Ungehorsams. Der ANC macht dagegen die Polizei für Gewalttätigkeiten bei Demonstrationen verantwortlich. „Menschen, die ein absolut legitimes Recht (zu demonstrieren) ausüben wollen, erhalten keine Genehmigung dafür, und dann greift die Polzei mit Gewalt ein“, sagt Pallo Jordan, Leiter der ANC-Informationsabteilung. „Darüber beschweren sich die Leute.“ Und Mandela selbst warf am Wochenende Teilen der Sicherheitskräfte vor, den ANC mit Gewalt zerstören zu wollen.
Wochenlange Beratungen einer gemeinsamen Arbeitsgruppe von ANC und Regierung haben keine Einigung in diesem Streit zustande bringen können. Bei ihrem letzten Treffen vergangene Woche beschloß die Arbeitsgruppe, eine endgültige Entscheidung Mandela und de Klerk zu überlassen. Bis gestern nachmittag waren allerdings noch keine Ergebnisse des Gipfeltreffens bekannt. Für die Regierung ist die Reduzierung der vom ANC veranstalteten Massenproteste der Preis für Fortschritte im Verhandlungsprozeß. In den letzten Tagen haben sich ANC und Regierung gegenseitig vorgeworfen, für die Verzögerungen bei den Verhandlungen verantwortlich zu sein.
Tatsächlich hat sich seit Anfang August wenig bewegt, nachdem der ANC die Welt mit seiner Suspendierung des „bewaffneten Kampfes und damit verbundener Aktivitäten“ überraschte. Damals hatte der ANC diesen Schritt mit der Notwendigkeit begründet, die Blockierung des Verhandlungsprozesses zu beheben. Stattdessen hat die Regierung die Suspendierung genutzt, um neue Hindernisse zu schaffen. So erklärte die Regierung Anfang November, die Freilassung politischer Gefangener und die Erklärung der Straffreiheit für ANC-Mitglieder, die aus dem Exil zurückkehren wollten, hinge von Fortschritten bei der Suspendierung des bewaffneten Kampfes ab. Die damit verbundenen Verzögerung der Rückkehr von ANC- Mitgliedern und der Freilassung von Gefangenen hat den ANC schon dazu gezwungen, die Kompetenzen eines für Mitte Dezember in Johannesburg angesetzten Parteikongresses zu reduzieren.
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