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Ist das HIV-Virus möglicherweise schon über 150 Jahre lang im Menschen?

■ Die Frankfurter Aids-Forscherin Helga Rübsamen-Waigmann zur Herkunft des Aids-Virus und über die weltweiten Erfassungsmöglichkeiten von neuen Aids-Varianten INTERVIEW

taz: Frau Rübsamen-Waigmann, Sie haben einen neuen HIV-Virustyp entdeckt, der beweist, daß das Aids- Virus länger im Menschen ist, als bisher angenommen.

Rübsamen-Waigmann: Wir untersuchten eine Patientin, eine Ghanaerin, die in Frankfurt als registrierte Prostituierte arbeitete. Sie wurde auf HIV-1 getestet, zunächst mit einem unklaren Ergebnis. Dann wurde sie auf HIV-2 (das am häufigsten in Afrika verbreitet ist, Anm. d. Red) geprüft mit eindeutig positiver Reaktion, aber auch wieder nicht typisch. Wir haben dann 1987 das Virus isoliert und anhand verschiedener biochemischer Kriterien gemerkt, daß es kein typisches Aids-Virus ist. Danach haben wir dann seinen genetischen Code entschlüsselt und ihn per Computerprogramm mit den Genen anderer Viren verglichen. Diese Programme sagten uns: Es paßt nirgendwo so richtig rein. Über alle Gene gemessen, hat dieses Virus nur 75 Prozent Ähnlichkeit mit dem bisher bekannten HIV-2-Virus, aber auch 75 Prozent Ähnlichkeit mit den Affen-Aids-Viren. Das war eigentlich das Erstaunliche, weil die Affen-Aids-Viren ja normalerweise weiter weg vom Menschen waren.

Wie kommen Sie zu der These, daß dieses neuentdeckte Virus schon viel länger im Menschen ist als die bisher bekannten Aids-Erreger?

Es gibt eine weltweite Datenbank dieser Gen-Sequenzen in Los Alamos, USA. Dorthin haben wir unsere Gen- Sequenzen geschickt. Man hat sie dort in den Computer gesteckt und konnte so den Stammbaum errechnen. Und nach dem muß dieses Virus existiert haben, bevor sich die bisher bekannten HIV-2-Viren von den Affen-Aids- Viren getrennt haben. Man kann nämlich Mutationsereignisse zurückrechnen, also herausfinden, wie lange ein Virus braucht, um seine Gene zu verändern. In diesem Fall ist die Minimalannahme, daß das Virus der Ghanaerin mindestens vor 150 Jahren entstanden ist. Es kann sogar noch länger zurückliegen. Das heißt aber auch: Dieses Virus muß schon lange im Menschen gewesen sein, es kann nicht erst in den letzten zehn oder zwanzig Jahren ein Übergang vom Affen auf den Menschen erfolgt sein. Es ist offenbar ein altes Vorläufervirus. Aus diesem Grunde haben wir es HIV-2-Alt genannt.

Wenn die HIV-Viren schon so lange im Menschen sind, wieso kam es erst so spät zum Ausbruch der Epidemie?

Es ist möglich, daß das Virus über lange Zeit irgendwo in Afrika steckte, wo ein Volk vielleicht ganz gut damit leben konnte. Erst durch die Entstehung großer Städte, durch den rapiden Ausbau der Verkehrswege, die Entwicklung von Slums — in denen auf engem Raum die Angehörigen verschiedener Stämme zusammenkamen — und durch den Massentourismus wurden möglicherweise die Voraussetzungen geschaffen, daß sich Aids plötzlich epidemieartig ausbreiten konnte.

Müssen wir also noch mit weiteren Virustypen rechnen?

Ganz sicher. Inzwischen haben die Japaner Viren des Typs HIV-2-Alt auch aus Kranken in Ghana isoliert. Und man kann erwarten, daß es noch mehr Viren dieser Sorte in der Welt gibt. Es gibt darüber hinaus unveröffentlichte Daten von Kollegen, die weitere Varianten gefunden haben, die weit weg sind von allem, was man kennt.

Diese Varianten müßten bei einer Impfstoffentwicklung alle mitberücksichtigt werden...

Genau. In dieser Hinsicht bin ich deshalb auch sehr pessimistisch. Aus diesem Grund war letzte Woche in London auch eine Tagung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) angesetzt, wo wir darüber nachgedacht haben, wie man ein System etablieren kann, um weltweit immer die neuen Varianten von HIV zu erfassen. Wir wissen zwar noch nicht, wie man einen Impfstoff gegen Aids machen kann. Aber bis dieses Überwachungssysten funktioniert, vergeht ja auch einige Zeit. Ich glaube auch nicht, daß wir sozusagen mit einem einzigen Impfstoff die ganze Weltbevölkerung versorgen können. Man wird einen Impfstoff machen müssen, der primär für die europäischen Viren gut ist, und einen für die asiatischen oder die afrikanischen Viren. Und selbst diese Impfstoffe könnten dann bis zu 80 Prozent effektiv sein, das wäre meine Prognose. Daß sie wirklich zu hundert Prozent wirken, halte ich für eher unwahrscheinlich.

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