STANDBILD: Glasperlen für Eingeborene
■ "Goldgräberzeiten - Der Einfall der Westmark in die DDR", Di., Bayern 3
Der himmelblaue Trabbi in der Autowaschanlage. Allein schon dieses erste Bild des Films Goldgräberzeiten über den „Einfall der Westmark in die DDR“ prägt sich ein und ist ein Stück Zeitgeschichte, blitzlichtartig im Bild festgehalten; ebenso wie der Blick in die teils mißtrauischen, teils staunenden Gesichter der ehemaligen DDR-Bürger vor den Schaufensterscheiben mit den neuen Westwaren.
Eindringlich wird von den beiden Dokumentarfilmern, Claus Strigel und Bertram Verhaag, vorgeführt wie sich die glitzernde bunte Werbewelt breit und die vormals graue DDR bunt macht.
„Die mögen Plastiktüten“, stellt der Zigarettenwerber nicht zu unrecht fest. Die Zweischneidigkeit dieses Prozesses wird immer wieder deutlich. Zum einen der verständliche Wunsch der Menschen, endlich die Qual der Wahl zu haben, andererseits jedoch, wie in Wolf Biermanns Liedern, den Ausverkauf der DDR zu bedauern. Auch der Kontrast zwischen sachlich verpackten Nachrichten und aufdringlicher Werbesprache während der Fahrt über Alleen, die es im Westen schon gar nicht mehr gibt, zeigt eindrucksvoll wie den ehemaligen DDR-Bürgern das neue Korsett verpaßt wurde.
Ob Maggi, SPAR oder die großen Banken, der Zuschauer ist dabei wie die Claims abgesteckt werden. Doch selbst die dazu angeheuerten „Goldgräber“ sind, wie der Film zeigte, nicht nur bewußtlose Werkzeuge — funktionieren freilich trotzdem. „Man braucht ja nicht unbedingt eine Diktatur dafür, um ein Volk in Knechtschaft zu halten, sondern das geht auch mit Schulden“, meint einer von ihnen angesichts der massiven Werbekampagne der verschiedenen Banken. Aber auch der junge gepflegte West-Yuppie und Banklehrling von der Commerzbank, der ganz selbstverständlich davon spricht, daß „wir hier verlorengegangenes Terrain zurückgewinnen“ ist ein starkes, aussagekräftiges Bild über den „Einfall der D-Mark“.
Sätze wie die Radiomeldung: „Die Währungshoheit übt jetzt die Deutsche Bundesbank aus“ oder die lapidare Feststellung einer Kommentatorin, daß es nach Einführung der D-Mark „eine stärkere Differenz zwischen arm und reich in der DDR“ geben wird, sind Highlights, die für sich selbst sprechen. Jeder Kommentar erübrigt sich da. Und die Filmemacher haben sich den erhobenen Zeigefinger auch wohlweislich gespart. Kommentiert und Akzente gesetzt wird eher durch die Musik, von Ulrich Bassenge und Wolfgang Neumann, aus Percussionelementen und Versatzstücken von Nationalhymnen. Am liebsten hätte der Musiker Bassenge nur mit Trommeln und Percussion gearbeitet, um ein noch viel härteres Klangbild entstehen zu lassen: Nämlich den Verkauf von Glasperlen an naive Eingeborene. lui
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