»Laßt uns ein Stück Mauer!«
■ Reisebegleiter gründen Gesamtberliner Interessenvereinigung/ Schwierigkeiten bei der Erklärung der Mauer: Ein Stück Mauer für Touristen müsse bleiben/ »Weniger Gags, mehr Infos« im Programm
Berlin. Jetzt haben sich auch die Stadtbilderklärer (ostdeutsch) und die Stadtführer (westdeutsch) vereinigt und nennen sich jetzt »Berlin- Guide« (englisch). Mitte der Woche schlossen sich die beiden Berufsvereinigungen zu einer zusammen: als Interessenvereinigung der Berliner Reisebegleiter. Aktuelle Mitgliederzahl: 180.
Seit der Wende in der DDR dürfen die Ostberliner Reisebegleiter nun alles zeigen. Früher war die Vorgabe klar: »Zwei Drittel Propaganda für den Sozialismus, ein Drittel Geschichte« für die Berlin-Touristen aus den RGW-Staaten. Heute wird dem inzwischen international gemischten Publikum auch das arg verfallene Scheunenviertel gezeigt, Großsiedlungen wie Marzahn werden nicht mehr als sozialistische Glanzleistungen dargestellt.
Die Wende bringt auch Probleme: Waren die Stadtführer in der DDR durchweg fest bei Reiseagenturen angestellt, so müssen sie jetzt als Selbständige arbeiten. Geringer Lohn und fehlende soziale Absicherung sind unliebsame Veränderungen, außerdem müssen sich die Ex- Stadtbilderklärer auf Fahrten durch Gesamt-Berlin und neue Fremdsprachen ein- und umstellen.
Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Weiterbildung stehen deshalb im Mittelpunkt der Arbeit der Vereinigung. So wurden bereits kurz nach der Wende spezielle Fahrten für Ost- und Westberliner StadtführerInnen organisiert, um die jeweils andere Stadthälfte kennenzulernen. Bei kulturpolitischen Entscheidungen fordern sie aufgrund ihrer Erfahrung Mitsprache. Bereits heute sei es schwierig, Berlin-Touristen die Mauer und den Grenzstreifen zu erklären. »Laßt uns ein Stück Mauer«, forderte Vorstandsmitglied Eberhard Elfert.
Auch wenn es keine offizielle StadtführerInnenausbildung gibt — ein Nebenjob für Studenten sei das nicht, so Elfert. Fremdsprachen, Geschichts- und Architekturkenntnisse: Die Anforderungen an die Rundfahrtbegleiter sind hoch. Aufträge erhalten sie meist von Rundfahrtunternehmen oder vom Informationszentrum Berlin. Auf Wunsch können Touristengruppen dort auch arabisch- oder japanischsprachige Fremdenführer bestellen.
Bei steigenden Hotelpreisen und zunehmendem kommerziellen Interesse könnte die Mittlerfunktion von Berlin für das Zusammenwachsen von Ost und West verlorengehen, befürchten die StadtführerInnen. Touristen würden dann lieber nach Polen oder in die Tschechoslowakei reisen. Probleme haben die StadtführerInnen manchmal auch mit ihren KundInnen: Nach ihrem Selbstverständnis wollen sie die »Stadt als Ganzes« zeigen und nicht den Clown spielen. »Weniger Gags und mehr Information«, formuliert Elfert seine politische Bildungsarbeit. Rochus Görgen