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Arbeitgeber: Touristische Traumfabrik

■ Ein Sonderforum auf der TOURISTICA in Frankfurt

Ein Sonderforum auf der TOURISTICA in Frankfurt

VONCHRISTELBURGHOFF

Die Hessen denken zweifellos mehr ans Geldverdienen als ans Verreisen. Nunmehr zum elften Mal fand in Frankfurt am Main vom 10. bis 18.November die „Internationale Touristica“ statt — eine Tourismusmesse in Verbindung mit den Ausstellungen für „Leben — Wohnen — Freizeit — Bau“. Aber im Vergleich etwa zur ITB in Berlin führt sie ein eher unscheinbares Dasein als Seniorentreff mit solider deutscher Küche. In zahlreichen lauschigen Ecken präsentieren sich überwiegend die deutschen Urlaubsregionen und offerieren neben Prospektmaterial zum Kuren, Wandern, Sport und anderen Freizeitaktivitäten bodenständige Kost zu gleichfalls soliden Preisen.

Um so bemerkenswerter war die diesjährige Neuerung des „Sonderforums Traumberufe“ in Form einer großflächigen Ausstellung und einer zweitägigen Veranstaltungsreihe. Auch hier ging es ums Geldverdienen und konkret um die Möglichkeiten, die die Tourismusindustrie als Arbeitgeber bietet. Besonders im Hinblick auf den Dienstleistungsnachwuchs warben einschlägige Unternehmen wie die Clubanbieter Robinson, Aldiana und Mediterranée; es informierten beispielsweise der Studienkreis für Tourismus, das Landesarbeitsamt Hessen, die Gewerkschaft Nahrung, Genuß, Gaststätten und — auf Ausbildungsgänge bezogen — verschiedene Fachhochschulen, wobei sich die FH Worms mit ihrem Forumsinitiator Prof. Bartl besonders hervortat.

Es sagt viel aus über das Selbstverständnis der Touristikbranche, die, als „Traumfabrik“ charakterisiert, ihrerseits die touristischen Berufe ohne einschränkendes Fragezeichen als „Traumberufe“ vorstellt. Als „hart“ wird durchaus der eine oder andere Job bezeichnet, besonders im exponierten Bereich der Clubanimation, wo rund um die Uhr der ganze Mensch gefordert ist. Klaus Finger von Animation Consult, Heusenstamm bei Frankfurt, informierte detailliert über die nötigen Qualifikationen: Neben rein fachlichen Kompetenzen (zum Beispiel Sportdiplom) muß der Animateur den „fürsorglichen Gastgeber“ alter Schule verkörpern können, gleichzeitig muß er überzeugend den „Miturlauber“, den „Repräsentanten“ des Veranstalters, den „Informanten“ über die Landes- und Urlaubsmodalitäten und den „Freund und intimen Gesprächspartner“ darstellen. Daß aus solcher Totalidentifikation und dem Dauereinsatz außerordentliche persönliche Belastungen entstehen, läßt, laut Finger, lediglich Rückschlüsse auf die Eignung des Animateurs zu, keineswegs jedoch auf die Zweifelhaftigkeit des Jobs; und in betont aggressiver Attitüde formulierte er die Alternative: „Wer das nicht kann, soll in die Buchhaltung gehen.“ Der „gelebte Spaß“, den die Animation verkörpern soll, diente nicht nur der Rechtfertigung solch kantiger Sprüche, er mußte letztlich auch wieder als Argument für die miserable Bezahlung der Animateure herhalten.

Einen ganzen Vormittag lang ging es ausschließlich um das Berufsfeld und den Einsatzbereich des Animateurs. Die Veranstalter brauchen guten Nachwuchs, denn nach ungefähr zweieinhalb Jahren ist ein Durchschnittsanimateur verschlissen. Auf den hohen Personaldurchlauf angesprochen, verwahrte sich Finger gegen sogenannte altertümliche Vorstellungen vom „lebenslangen Beruf“ und verkündete statt dessen die moderne Doktrin von der universellen Disponibilität und Mobilität der Arbeitskraft. Er wußte sich auch entschieden gegen die Mutmaßungen vom hochgezüchteten „High-Tech- Animateur“ zu verwahren, die unter seiner Zuhörern laut geworden war: „Ich bin für die Formulierung ,High- Touch-Animateur‘.“

Wie zur Bekräftigung ließ die Firma Robinson-Clubs schließlich einige leibhaftige Vorzeigeanimateure auftreten, die als Werber in eigener Sache eine bunte Dia-Show übers lustige Clubleben moderierten. Animation zum Anfassen.

Die andere exotische Berufsgruppe im touristischen Außendienst sind die ReiseleiterInnen. Auch ihnen wurde ein Vormittag gewidmet. Exponiert durch ihren Einsatz und ihre Qualifikation: die StudienreiseleiterInnen. Kurz gesagt, ihnen werden neben den sozialtechnologischen Qualifikationen des Animateurs zusätzlich wissenschaftliche Kompetenzen abverlangt. Vielleicht ist es diesen wissenschaftlichen Qualifikationen zuzuschreiben, daß es in ihren Reihen gelungen ist, sich auf Verbandsebene zu organisieren — obwohl StudienreiseleiterInnen in aller Welt verstreut arbeiten. Nach nunmehr dreijährigem Bestehen zählt der Verband 150 Mitglieder von geschätzten 1.000 bis 1.500 StudienreiseleiterInnen in der Bundesrepublik.

Seine Aktivität auf dem Sonderforum setzte das nötige Fragezeichen hinter den Titel „Traumberufe“. Wie Helmut Kächele vom Verband formulierte, bieten die „Plastikwelt“ und das „Image vom Tausendsassa“ kein „Setting, das ein Lebenskonzept ermöglicht“. Man weiß nur zu gut über Lebenskrisen von ReiseleiterInnen und Animateuren Bescheid, die nach ihrer Rückkehr aus der „Welt der Träume“ in den normalen Alltag unter größten Re-Integrationsproblemen und — weil die touristischen Außendienstjobs kein gutes Ansehen haben — auch unter Schwierigkeiten in ihrer beruflichen Weiterentwicklung zu leiden haben. Andererseits verdeckt die unkonventionelle Arbeitssituation den professionellen Charakter der Tätigkeiten und dient den touristischen Arbeitgebern von jeher als Argument, den Außendienstlern die normale soziale Absicherung zu versagen und sie von den üblichen sozialpolitischen Errungenschaften auszuschließen. Die Tourismusbranche profitierte jahrelang schamlos von der sogenannten AkademikerInnenschwemme — ohne ihnen die sozialen und monetären Äquivalente zu gewähren. Ganz im Gegenteil: Laut Prof. Bartl bewegt sich die Branche auf einem sozialrechtlich höchst unklaren Terrain. An diesem wunden Punkt hakt die Arbeit des Verbandes ein und fordert eine „Erdung“ der touristischen Berufe in mindestens zweierlei Hinsicht: zum einen ihre Einbettung in ein vernünftiges Vorsorge- und Fürsorgekonzept wie in jedem anderen „normalen“ Beruf; zum anderen ein klares Berufsprofil, das eine tarifliche Vergleichbarkeit erlaubt.

Die Branche selbst hat sich nunmehr „freiwillig“ zur Einführung eines „Reiseleiterzertifikats“ entschlossen, das jedoch offenläßt, auf welchem didaktisch sinnvollen Wege die gewünschten Qualifikationen erworben werden können. Auf dem Schlußpodium des Sonderforums regte Heinz Hahn vom Studienkreis für Tourismus an, dieses Thema zwecks staatlicher Anerkennung an das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB, Berlin) weiterzuleiten — ein Vorschlag, der immerhin auch die Zustimmung der versammelten Branchenvertreter fand.

„Traumberufe im Tourismus“ — das sind Schlagworte, die immer noch mit dem Flair eines Eldorados für Aussteiger liebäugeln. „Entfremdete Arbeit in der Fremde“ dürfte nach einer vorsichtigen Bestandsaufnahme eher zutreffen. Daran ändert auch die von Helmut Kächele so bezeichnete „Gemütskonserve“ nichts, wie sie Clubs oder die exotischen Welten eine Zeitlang darstellen. Wenn die Luft aus der Konserve raus ist, stellt sich die Frage nach Lebensmitteln, die echt satt machen.

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