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Ava-Ausverkauf

Neulich bei Sotheby's: Katalognummern aus dem Glamourleben Ava Gardners  ■ Von Roger Willemsen

Die letzte Beerdigung großer Leute arrangiert das Aktionshaus Sotheby's. 324 Katalognummern aus dem Glamourleben Ava Gardners werden in eineinhalb Sälen ausgestellt, die Bilder in zwei Reihen: lichtes, kleinformatiges Italien, heimkehrende Jäger, wartende Orientalen in der Wüste, eine heimfahrende Postkutsche, saufende Bauern, grinsende Götter; darunter die Polstersessel, die Bronzefaune und geraubten Sabinerinnen, Leda und der Schwan, Prometheus und der Adler, ein Nackte (Michelangelos Sklaven nachempfunden), ein Pan mit Flöte (Böcklin nachempfunden); davor auf armseligen Styroporpuppen die kostbaren Garderoben und Accessoires — ein erschütternd geschmackloses Sammelsurium aus Gold, Gelb und Tinneff, das in Ennismore Gardens (gleich bei Harrods), wo Ava Gardner in ihren letzten siebzehn Lebensjahren wohnte, noch wohnlich gewirkt haben mag, zum Verkauf auseinandergerissen und aufgereiht sieht es ziemlich trostlos aus.

Seit Wochen zeigen die Zeitungen Fotos der alten Zimmer, in denen die unsemtimentale Diva mit ihrer ecuadorianischen Magd Carmen und ihrem Corgy namens Morgan tapfer alterte, weder von der eigenen Legende noch vom eigenen Werk sonderlich beeindruckt. Da haben wir ein blaugrünes Schlafzimmer von wüster Biederkeit (Lämpchen rechts, Lämpchen links, Bettbezug in blauen Rosen wie die Tapete), ein gelbtoniges Wohnzimmer, sehr voll, sehr gelb, passend mit Chinoiserien verkleidet. Alle können jetzt zusehen und anfassen. Selbst die kostbaren Roben wurden schon durch fotogene Anproben mit internationalen Topmodells entweiht, die für die Zeitungen den Anblick der Gardner-Couture am eigenen Körper „analysierten“: das Kleid zur japanischen Premiere der Barfüßigen Gräfin, die kantonesischen Seidenschleier aus Die Bibel, ein rosa Paillettenfummel, ein rotseiden ausgeschlagener Samtmantel etc. Soweit die Promotion.

Und alle alle kamen. Die Limousinen, die morgens halb elf vor Sotheby's in der New Bond Steet halten, entlassen Filmfreude aus aller Welt, darunter ehemalige „Kolleginnen“, bis zur Unkenntlichkeit überpuderte „Freundinnen“, brütende Verehrer, Grandseigneurs, energische Memorabilia-Händlerinnen, glatte Kommissionäre, Curd-Jürgens-Replikanten und Schwärmer. Plötzlich sind sie alle wieder da, die Pelzmäntel und Stolen und Jäckchen und Muffs, die gut gefärbten Kunsthaarteile und die Incognito-Brillen. Das Fernsehen sieht aus der Nähe zu, und die Fotografen fotografieren.

Der Saal ist längst voll. Auf der Drehbühne vorn nur Ava selbst, groß und riskant fotografiert, die beeindruckende Schulterpartie aus einem schwarzen Cape geschält (das später aufgerufen wird), der Blick von verschwenderischer Indifferenz, „her mocking smile says it all“, würde Suzanne Vega singen.

Keinen Zweifel will man lassen, das schönste Ausstellungsstück ist Ava Gardner selbst. Und während sie jeden im Parkett persönlich ansieht, beugen sich die Händler schon über die Kataloge: Ist das große Schwarze erschwinglich? Werden die kleinen Ohrringe da noch vor zwei Uhr aufgerufen? Irgend jemand wird alles, was sie da auf dem Foto trägt, nach Hause schleppen, eine mit Sicherheit minder glamouröse Frau wird es tragen — zum ersten Mal stolz auf Second Hand Garderobe vermutlich. Meiner Nachbarin zur Linken läuft eine breite Laufmasche unter den Rock, mein Nachbar zur Rechten hat sich schon im Vorfeld alle zehn Finger bis auf das Nagelbett abgekaut. Beide bieten bis in Zehntausender-Beträge. Es geht vor die Hunde. Alles.

Nichts geht zurück, nichts geht unter Wert weg. Der Auktionator braucht die Dummen nur mehr abzufragen: ein paar Kerzenleuchter mit eingearbeiteten Mohren, zwei bronzene Türstopper in Gänseform, eine Elfenbeinelfe zum Lampenschaft verarbeitet, ein vergoldetes spanisches Lesepult, ein Konvolut Paneele, ein venezianischer Armsessel, zwei spanische Blumentöpfe, jede Menge Kandelaber, jede Menge Spiegel, jede Menge Polstermöbel, alles „im Louis-Seize-Stil“, im „Empire-Stil“, kaum etwas original, fast alles nachgemacht und nachempfunden, eine Schauspielerinnenwohnung eben.

Je näher man dem Intimen kommt, desto höher schnellen die Preise: ein Paar Nachttischlampen — ein Ansturm; ein paar Fußbänke — die Restifisten im Publikum bringen sie auf 3.000 Mark; und die insgesamt 78 Paar Schuhe erst! Am höchsten gehen die Objekte mit unmittelbarem Körperkontakt, die dickpolstrigen Sessel, in die Ava ihr Gewicht senkte, die Kleider, in die sie transpirierte, das phantasieanregende Kanapee für fast 12.000 Mark. Unter ihren Augen ist das verblichen, von ihrem Lebensstil ist das abgenutzt, von ihrem Leib selbst abgewetzt worden. Hier und nur hier sind Verfall und Gebrauchsspuren Adelsprädikate, Zeugen persönlicher, persönlichster Beziehung, wie zum Beispiel das verschwenderische Matadorencape, das ihr der Freund und Stierkämpfer Louis Dominguin geschenkt haben soll, der Glückliche, der sie nach ihren drei Ehen (mit Mickey Rooney, Artie Shaw und Frank Sinatra) so sehr liebte, daß er später bekannte: „Mit dieser Frau zu schlafen (auf dem Kanapee?), das ist wie eine Droge aufnehmen, die das Blut nie mehr los wird.“ Dagegen Ava über ihre Männer: „Ich habe eine Neigung für Trottel.“

Vergangene Geschichten, verlassene Liebesgaben: der Schriftzug „Love“ von Tiffany nett in Brillantsplitter gesetzt, viele Viertelpfünder Diamanten mit Jade und Smaragd und was sonst noch klimpert und klunkert, fast alles von Van Cleef und Arpels, New York. Die Preise schlagen die Prognosen, die Bieter stehen bis weit vor die Saaltür, Telefonleitungen reichen hinaus bis in alle Welt. Her mocking smile says it all... Der Mimin flicht die Nachwelt keine Kränze? Deren Garderobe jedenfalls trägt sie gern.

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